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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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und Feldwegen, überquerte die Straße die ehemalige Grenze, und Potsdam lag vor ihnen. Jedenfalls der Teil von Potsdam, der auf den Reißbrettern der Architekten einst als zukunftsweisende Vision proletarischen Wohnungsbaus erschienen sein mußte, sich nach seiner Realisierung aber als monotones Einerlei zehnstöckiger Gebäude mit anonymen Balkons und bald schon zerbröckelnden Fassaden erwiesen hatte.
    Das alte Potsdam verbarg sich hinter dichtem Buchenlaub. Peter Schiller parkte auf einer schattigen Allee vor einer dreistöckigen Villa mit schmiedeeisernem Gartentor und einer von Säulen getragenen Vorhalle. Marmorstufen führten zu einer doppelflügeligen Tür. Eine klassische Fassade. Schnörkel über den Fenstern, die hoch genug waren, um einen Blick auf getäfelte Zimmerdecken zu gestatten. Ein Türmchen auf dem Dach. Aber überall bröckelte der Putz von den Mauern. Ein behelfsmäßiges Baugerüst reichte bis zum zweiten Stock, und eine hölzerne Rampe lief an einer Seite über die Stufen, die andere Seite war zerbrochen. Einige Fenster waren vermauert, andere mit Brettern vernagelt. Ein verkümmerter Baum hatte neben dem Türmchen auf dem Dach Wurzeln geschlagen. Der Boden war mit Schutt und Unkraut übersät, das Gartentor von einer dünnen Schicht bedeckt, die aus Rost, Ruß und dem Staub zerfallener Ziegelsteine bestand. Und doch schien das Gebäude von oben bis unten bewohnt. Die Balkone und übriggebliebenen Fenstersimse trugen Kästen mit Geranien, und hinter den Scheiben war ein trüber Lichtschimmer zu sehen, vor dem sich langsame Bewegungen abzeichneten. Neben dem Tor war ein Schild mit der Aufschrift »Krankenhaus« angebracht.
    »Das Schiller-Haus«, sagte Peter Schiller. »Hier ist es. Dafür hat sich mein Großvater kaufen lassen, für diese Ruine.«
    »Hat er es gesehen?« fragte Arkadi.
    »Boris Benz hat ihm ein Foto davon gezeigt. Jetzt möchte er wieder hier einziehen.«
    Zu beiden Seiten der Villa standen Gebäude im gleichen Stil und einem ähnlichen Stadium des Verfalls. Einige waren allerdings noch verfallener. Eines war von Efeu überwachsen wie ein altes Grabmonument. Ein anderes verwehrte Unbefugten mit dem Schild »Zutritt verboten!« den Zugang.
    »Das war einmal die Straße der Bankiers. Jeden Morgen fuhren sie nach Berlin, um am Abend zurückzukommen. Kultivierte, intelligente Leute, die den Führer so sahen, wie sie ihn sehen wollten. Sie schauten weg, wenn die Meyers die Villa hier und die Weinsteins die Villa dort verlassen mußten. Womöglich erwarben sie deren Häuser sogar zu einem günstigen Preis. Nun, man kann schließlich kaum sagen, wo diese Juden heute leben, oder? Und jetzt will sich mein Großvater erneut mit dem Teufel einlassen, um das hier zurückzubekommen.«
    Eine Balkontür öffnete sich, und eine Frau mit Haube und weißer Schürze trat heraus. Sie hielt ihnen den Rücken zugekehrt und zog einen Rollstuhl hinter sich her, den sie jetzt umdrehte und arretierte. Schließlich setzte sie sich hinein und zündete sich eine Zigarette an.
    »Was haben Sie vor?« fragte Arkadi.
    Peter Schiller drückte das Tor auf. »Ich sollte es mir einmal ansehen, finden Sie nicht?«
    Die zu den Säulen des Vorbaus führende Auffahrt war einst mit Kopfsteinen gepflastert gewesen. Jetzt schnitten zwei Furchen durch das Unkraut, eine der Säulen war zusammengebrochen und durch ein aufrecht stehendes Abflußrohr ersetzt worden. Die Vordertür war mit einem roten Kreuz bemalt, und auf einem Schild war das Wort »Ruhe!« zu lesen. Die Tür stand offen, und aus dem Inneren wehte der Klang eines Radios und der Geruch von Desinfektionsmitteln. Es gab keinen Empfang. Sie gingen durch eine mit dunklem Mahagoni getäfelte Halle in eine Art Ballsaal, der zu einem Speisesaal umfunktioniert worden war, und betraten eine riesige Küche, die zweigeteilt worden war in eine kleine Küche mit dampfenden Töpfen und einen Abschnitt, der aus gefliesten Badekabinen und Toiletten bestand. Niemand war zu sehen.
    Schiller probierte die Suppe. »Nicht schlecht. Sie haben gute Kartoffeln in Ostdeutschland. Ich war gestern in Potsdam, bis hier bin ich noch nicht vorgedrungen.«
    »Wo waren Sie?«
    »Im Archiv des Potsdamer Rathauses, um Näheres über Boris Benz in Erfahrung zu bringen.« Er ließ die Suppenkelle fallen und ging weiter. »Es gibt nicht viel über ihn«, sagte er.
    »Ich habe den Computer angezapft und einige persönliche Daten gefunden. Wann sein Führerschein ausgestellt wurde, wann er sich

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