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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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in München angemeldet und wann er geheiratet hat. Habe festgestellt, daß er Inhaber einer Firma namens Fantasy Tours ist. Dazu Daten über Sozial- und Krankenversicherungen seiner Angestellten. Was nicht zu finden war, waren seine eigenen Versicherungsangaben, Hinweise auf seine Ausbildung, seine Militärzeit und so.«
    »Sie haben mir gesagt, daß Benz hier in Potsdam geboren wurde und viele der ostdeutschen Unterlagen noch nicht zentral erfaßt sind.«
    Schiller sprang die Treppe hoch. »Deswegen bin ich ja hergekommen. Aber es gibt hier keine weiteren Unterlagen über ihn. Es ist nicht schwer, einen Namen in einen Computer einzugeben. Wesentlich schwerer ist es, einen Namen in ein altes, mit der Hand geschriebenes Dokument einzufügen, in ein Geburtenregister etwa oder ein Schulzeugnis. Was die Unterlagen über Arbeitsverhältnisse oder die militärische Ausbildung betrifft, so spielen sie keine Rolle, solange man sich nicht um eine Stellung bewirbt oder ein Darlehen bei einer Bank will. Was erneut darauf hindeutet, daß Boris Benz Geld hat. Ah, das hier muß das herrschaftliche Schlafzimmer gewesen sein.«
    Sie blickten in einen Raum mit je fünf Betten auf jeder Seite. Einige der Betten waren mit Patienten belegt, die an Infusionsschläuchen hingen. An den Wänden klebten Familienfotos und Kinderzeichnungen. Die Laken sahen sauber aus, und der Parkettfußboden war blank gebohnert. Vier ältere Frauen in Bademänteln spielten Karten. Eine von ihnen blickte auf. »Wir haben Besuch.«
    Schiller nickte den Frauen beruhigend zu. »Sehr gut, meine Damen. Schöne Fotos, die Sie hier haben. Danke.« Sie strahlten, als er ihnen zuwinkte und die Tür hinter sich schloß.
    Die übrigen Räume waren ebenfalls zu Krankenzimmern und Bädern umgebaut worden. Aus dem offenen Oberlicht eines Büros zog Zigarettenrauch. Sie stiegen die Treppe zum dritten Stock hoch. In der Decke über dem Treppenhaus, wo einmal ein Kronleuchter gehangen haben mußte, war eine ringförmige Vertiefung zu sehen.
    »Ich habe mich gefragt, woher Benz wußte, was mein Großvater im Krieg gemacht hat. Nur die SS und die Russen wußten davon. Entweder ist er Russe oder Deutscher.«
    »Und was ist Ihre Meinung?« fragte Arkadi.
    »Deutscher«, sagte Peter. »Ostdeutscher. Um genauer zu sein: Staatssicherheit. Stasi. Der deutsche KGB. Vierzig Jahre hindurch hat die Stasi Personalien gefälscht, um Legenden für ihre Spione aufzubauen. Wissen Sie, wie viele Leute für die gearbeitet haben? Zwei Millionen Informanten. Mehr als fünfundachtzigtausend Offiziere. Die Stasi besaß Bürohäuser, Mietshäuser, Kurhotels und natürlich Bankkonten in Millionenhöhe. Wo sind all die Agenten geblieben? Wo ist das Geld geblieben? In den letzten Wochen vor dem Fall der Mauer waren die StasiLeute fieberhaft damit beschäftigt, sich neue Identitäten zu verschaffen. Als die Menschen die Büroräume stürmten, waren sie leer. Die Leute waren ausgeflogen. Eine Woche später mietete Benz seine Wohnung in München an. Da erst wurde er geboren.«
    Die ehemaligen Dienstbotenzimmer im dritten Stock wurden jetzt als Unterkunft für die Schwestern und als Lagerraum für Medikamente genutzt. Höschen trockneten auf einer Leine, die quer über den Flur gespannt war.
    »Wohin konnten die Stasi-Leute gehen? Wer wichtige Positionen bekleidet hatte, wurde festgesetzt. Und wer in untergeordneten Stellungen gearbeitet hatte, den wollte niemand mehr beschäftigen. Sie konnten nicht alle wie die Nazis nach Brasilien auswandern. Rußland will sicher nicht Tausende von Stasi-Leuten haben … Was ist das denn hier?«
    Ein schmaler Treppenaufgang wurde von Eimern versperrt. Schiller schob sie beiseite, stieg die Treppe hoch und versuchte, einen Türknauf zu drehen. Ein Schloß schnappte, und Staub rieselte auf die Stufen, als er die Tür öffnete.
    Sie betraten einen runden Raum. Es war das Türmchen, das sie von unten gesehen hatten. Die Flügelfenster hatten sich verzogen, Teile des Daches waren eingestürzt, und in einer Ecke wuchs ein verkümmertes Lindenbäumchen, ein zu lebenslanger Haft verurteilter Gefangener. Die Aussicht war herrlich: Seen und sanft gewellte Hügel, die sich bis nach Berlin hineinzogen, grüne Felder und Wälder in alle anderen Richtungen. Zwei Stockwerke unter ihnen lag der Balkon mit dem Rollstuhl. Die Schwester hatte die Sandalen ausgezogen und ihre Strümpfe bis zu den Waden heruntergerollt. Sie stellte gerade die Fußstützen hoch und richtete den Stuhl so aus,

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