Das Labyrinth
Nieselregen hatte eingesetzt. Vereinzelt raschelten unsichtbare Vögel in den Hecken. Da und dort fiel Licht aus den Fenstern von Frühaufstehern, und der Verkehr schwoll leise an, Straßenkehrer waren zu hören.
Auf der anderen Straßenseite näherte sich das Klickklick hoher Absätze. Rita, in einem mohnroten Regenmantel und dem dazu passenden Hut, ging rasch an den Häusern vorbei, die den Platz säumten. Arkadi hatte gesehen, wie sie die Restaurantrechnung gegenzeichnete, er wußte, daß sie Rechtshänderin war. Als sie die Haustür aufschloß, behielt sie eine Hand in der Tasche und sah sich um, bevor sie eintrat.
Zehn Minuten später trat ein Wachmann aus dem Haus, gähnte, reckte sich und ging mit schweren Schritten in die entgegengesetzte Richtung.
Nach weiteren zehn Minuten erlosch das Licht in der Galerie. Rita erschien wieder, verschloß die Tür und schickte sich an, den Platz zu überqueren. In der linken Hand trug sie eine Segeltuchtasche.
Arkadi holte sie in der Mitte des Platzes ein, näherte sich ihr von links und sagte: »Behandelt man so ein FünfMillionen-Dollar-Bild?«
Sie war überrascht genug, um stehenzubleiben. Er genoß die unverhohlene Wut, die ihre erste Reaktion kennzeichnete. Der Inhalt der Tasche war in eine Plastikfolie gehüllt. »Ich hoffe, die Tasche ist wasserdicht«, sagte er.
Als Rita sich wieder in Bewegung setzen wollte, ergriff er einen Bügel der Tasche.
»Ich rufe die Polizei«, sagte sie.
»Rufen Sie nur. Ich glaube, die deutschen Polizisten langweilen sich entsetzlich - gut, daß wir Russen da sind. Die Geschichte von Ihnen und Rudi Rosen ist äußerst interessant, auch wenn die Einzelheiten Ihren Geschäften nicht gerade förderlich sein dürften. Max und Borja haben Sie also allein zurückgelassen?«
Rita war es gewohnt, mit Männern umzugehen. Ein weicherer, freundlicherer Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Ich habe keine Lust, darauf zu warten, daß die Tschetschenen hier plötzlich auftauchen.« Sie lächelte ihn an. »Können wir nicht irgendwo reden, wo wir vor dem Regen geschützt sind?«
Er dachte daran, sich mit ihr in eine der Lauben zurückzuziehen, aber Rita führte ihn über die Straße zu einer markisenüberdachten Terrasse. Es war ihr Restaurant, und sie setzte sich wieder an denselben Tisch wie auf dem Video, als sie ihr Glas erhoben und gesagt hatte: »Ich liebe dich.« Das Innere des Restaurants war dunkel. Sie hatten die Terrasse und den Platz für sich allein.
Trotz der frühen Stunde trug Rita ein Make-up, das ihr Gesicht wie eine exotische Maske erscheinen ließ. Der rote Regenmantel schimmerte ölig wie ihre Lippen. Arkadi öffnete den Reißverschluß ihres Mantels.
»Warum tun Sie das?« fragte Rita.
»Sagen wir, weil Sie eine attraktive Frau sind.«
Sie saßen da, jeder mit einer Hand auf der Segeltuchtasche unter dem Tisch. Ihr Mantel fiel nach hinten, und seine Taschen waren nur mehr schwer für sie erreichbar.
»Erinnern Sie sich an ein russisches Mädchen namens Rita?« fragte Arkadi.
»Ich erinnere mich gut an sie. Ein hart arbeitendes Mädchen, das gelernt hatte, daß man mit der Miliz lohnende Geschäfte machen konnte.«
»Und mit Borja.«
»Die Leute vom Langen Teich haben die Mädchen im Hotel beschützt, und Borja war ein Freund.«
»Aber um wirklich reich zu werden, mußte Rita Rußland verlassen. Sie heiratete einen Juden.«
»Kein Verbrechen.«
»Sie ging aber nicht nach Israel.«
Margarita hob ihre rechte Hand und ließ ihre langen Fingernägel sehen. »Können Sie sich vorstellen, daß die hier in der Wüste einen Kibbuz bauen?«
»Und Borja ist Ihnen gefolgt.«
»Borja hatte ein völlig legales Geschäft vor, und er brauchte jemanden, der ihm half, Mädchen für die Arbeit in Deutschland anzuwerben, jemanden, der auf sie aufpaßte, solange sie hier waren. Ich hatte die Erfahrung.«
»Das ist aber noch längst nicht alles. Borja kaufte Papiere, die einen Boris Benz ins Leben riefen, der ihm wiederum absolut gelegen kam, als er in Moskau einen ausländischen Partner brauchte. Und als Sie Boris Benz heirateten, konnten Sie in Deutschland bleiben.«
»Borja und ich haben eine besondere Beziehung zueinander.«
»Und wenn einmal der Falsche anrief, spielten Sie das Hausmädchen und sagten, daß Herr Benz Ferien in Spanien mache.«
»Eine gute Hure ist eine gute Schauspielerin.«
»Finden Sie, daß die Geschichte mit Boris Benz eine gute Idee war? Es war ein Schwachpunkt, von dem letztlich zuviel abhing.«
»Es
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