Das Labyrinth
ist ein reizender Mann.«
Je mehr sie sich Moskau näherten, desto ähnlicher wurde Irina der Frau, die die Stadt einst verlassen hatte - wie jemand, der an ein vertrautes Feuer zurückkehrt. Als wäre der Rest der Welt ein dunkler, leerer Platz. Als kehrte sie zurück, um Rache zu nehmen.
Arkadi dachte, er könnte sich von ihrer Energie mitreißen lassen und ihr folgen. Wenn er mit Borja und Max fertig war.
Wieweit suchte er, mit all dem seine eigene Rechnung zu begleichen, den Tod von Rudi, Tommy und Jaak zu sühnen? Wieweit war Irina an dem beteiligt, was er tat? Wenn er mit Max abrechnete, würde das nicht die Jahre auslöschen, die sie mit ihm verbracht hatte. Er konnte sie als Flüchtlingsjahre entschuldigen, und aus einigem Abstand gesehen war ganz Rußland ein Volk von Flüchtlingen. Jeder war bis zu einem gewissen Grad kompromittiert. Rußlands Geschichte war derart verworren, daß alle von den Ereignissen überrollt wurden.
Auf jeden Fall waren Max und Borja der neuen Zeit gegenüber wahrscheinlich besser gerüstet als er.
Als sie in sowjetischen Luftraum gelangten, erwartete Arkadi, daß die Maschine den Befehl erhalten würde umzukehren. Beim Anflug auf Moskau dachte er, man würde sie auf einen Militärflugplatz umleiten, auftanken lassen und wieder zurückschicken. Die Lampen zum Anlegen der Sitzgurte leuchteten auf, und die letzten Zigaretten wurden ausgedrückt. Draußen vor dem Fenster erschienen die vertrauten niedrigen Wälder, die Stromleitungen und die graugrünen Felder, die nach Scheremetjewo führten.
Stas hielt den Atem an, wie ein Mann vor dem Sprung ins Wasser.
Irina ergriff Arkadis Hand, als sei sie es, die ihn heimbrachte.
TEIL VIER
MOSKAU
21. AUGUST 1991
Die Ankunft in Moskau war nie ein Vergnügen, aber an diesem Morgen war alles noch trostloser. Nach den Lichtern des Westens wirkte die Ankunftshalle um so dunkler und bedrohlicher, und Arkadi fragte sich, ob die Gesichter schon immer so stumpf, die Augen immer so abweisend gewesen waren.
Michael Healey stand mit einem Oberst der Grenzpolizei an der Zollabfertigung. Der Sicherheitschef von Radio Liberty trug einen Trenchcoat mit etlichen Schlaufen und beobachtete die Fluggäste durch eine dunkle Brille. Die Grenzpolizisten waren vom KGB, sie trugen grüne Uniformen mit roten Spiegeln und ihre Gesichter den Ausdruck ständigen Argwohns.
»Der Scheißkerl muß den Direktflug von München genommen haben. Verdammt«, sagte Stas.
»Er kann uns nicht aufhalten«, sagte Irina.
»Oh, doch, das kann er«, sagte Stas. »Ein Wort von ihm, und im günstigsten Fall werden wir mit dem nächsten Flugzeug zurückgeschickt.«
»Ich lasse nicht zu, daß er euch wieder zurückschickt«, sagte Arkadi.
»Was wollen Sie machen?« fragte Stas.
»Ich werde mit ihm reden. Stellt euch in die Schlange.«
Stas zögerte. »Wenn wir durchkommen, wartet ein Wagen auf uns, der uns zum Weißen Haus bringt.«
»Ich treffe euch dort«, sagte Arkadi.
»Versprochen?« fragte Irina.
In dieser Umgebung schien Irinas Russisch anders zu sein, weicher, tiefer. Deswegen haben schöne Ikonen einfache Rahmen, dachte Arkadi. »Ich werde dort sein.«
Er ging auf Healey zu. Michael verfolgte sein Näherkommen mit der Genugtuung eines Mannes, der feststellt, daß die Anziehungskraft zu seinen Gunsten arbeitet. Der Oberst schien nach lohnenderen Zielen Ausschau zu halten, er streifte Arkadi nur mit einem gleichgültigen Blick.
»Renko«, sagte Michael. »Froh, wieder zu Hause zu sein? Ich fürchte nur, daß Stas und Irina nicht bleiben können. Ich habe bereits ihre Tickets für den Rückflug nach München.«
»Sie wollen sie wirklich zurückschicken?« fragte Arkadi.
»Sie haben meine Anweisungen nicht befolgt. Der Sender bezahlt sie, ernährt sie und hat ihnen eine Bleibe verschafft. Also können wir auch ein gewisses Maß an Loyalität von ihnen erwarten. Ich versuche gerade, dem Oberst zu erklären, daß Radio Liberty ihnen keinen Auftrag gegeben hat, über die Vorgänge hier zu berichten.«
»Sie wollen dabeisein.«
»Dann handeln sie auf eigene Verantwortung und haben auch die Folgen zu tragen.«
»Wollen Sie die Berichterstattung übernehmen?«
»Ich bin zwar kein Reporter, aber ich habe immer mit welchen zusammengearbeitet. Ich werde meinen Teil zu der Sache beitragen.«
»Kennen Sie Moskau?«
»Ich bin schon mal hiergewesen.«
»Wo ist der Rote Platz?« fragte Arkadi.
»Jeder weiß, wo der Rote Platz ist.«
»Es wird Sie
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