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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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eingetroffenen Fluggäste. Er hob die Segeltuchtasche an die Brust und hoffte, Rita habe Albow und Gubenko verständigt, daß er im Besitz des Gemäldes sei.
    Arkadi erkannte eine kleine Gestalt, die allein auf einer der Sitzreihen in der Mitte der Halle saß. Polina las Zeitung, die Prawda, wie es schien. Nicht schwer zu erraten, dachte er, da die meisten anderen Zeitungen tags zuvor verboten worden waren. Vor der Anzeigetafel, die die Ankunftszeiten bekanntgab, zündete er sich eine Zigarette an. Erstaunlich. Hier war ein ganzes Volk, das den Blick gesenkt hielt und seinen Geschäften nachging. Vielleicht wirkte die Geschichte nur wie ein Mikroskop. Wie viele Menschen hatten tatsächlich den Winterpalast gestürmt? Die Menge war damit beschäftigt, nach Brot anzustehen, sich warm zu halten oder sich zu betrinken.
    Polina schob sich das Haar aus dem Gesicht, um Arkadi einen kurzen Blick zuzuwerfen. Dann legte sie die Zeitung neben sich auf den Sitz und ging hinaus. Durch das Fenster beobachtete er, wie sie auf einen männlichen Begleiter zutrat, der auf einem am Kantstein stehenden Motorroller saß. Als er sie sah, setzte er sich auf den Rücksitz. Polina nahm den Vordersitz ein, betätigte den Kickstarter mehr mit Wut als bloßem Gewicht und fuhr davon.
    Arkadi ging durch die Halle, nahm ihren Platz ein und studierte die Zeitung. »Die ergriffenen Maßnahmen treten nur vorübergehend in Kraft. Sie bedeuten keineswegs, daß der eingeschlagene Kurs zu gründlichen Reformen aufgegeben werden soll …«
    Unter der Zeitung lagen Wagenschlüssel und ein Zettel, auf dem stand: »Ein weißer Schiguli mit der Nummer X65523MO. Sie hätten nicht zurückkommen sollen.« Aus dem Polinaischen übersetzt hieß das: »Willkommen zu Hause.«
    Der Schiguli stand in der vorderen Reihe des Parkplatzes. Zwischen den Sitzen lag ein quadratisches, in Rottönen komponiertes Bild. Arkadi wickelte das Tablett aus der Schaumstoffolie und ersetzte es durch das Gemälde, das er anschließend in Ritas Tasche verstaute.
    Er nahm die südliche Autobahn nach Moskau. Als er die Dunkelheit einer Unterführung erreichte, kurbelte er das Beifahrerfenster herunter und ließ das Tablett hinaussegeln.
    Zunächst schien alles normal zu sein. Dieselben Schrottautos rumpelten durch dieselben Schlaglöcher, als wäre er nur einen Tag fortgewesen. Dann entdeckte er hinter einer Reihe von Erlen die dunklen Umrisse eines Panzers, und kaum, daß er einen ausgemacht hatte, sah er auch noch weitere wie dunkle Wasserzeichen auf grünem Untergrund.
    Auf der Autobahn selbst war von der Anwesenheit des Militärs nichts zu merken. Erst hinter der nach Kurkino abzweigenden Straße ratterte eine endlose Reihe gepanzerter Mannschaftswagen über die Kriechspur. Soldaten mit Kampfhelmen saßen in offenen Jeeps, junge Burschen, denen die Augen im Wind tränten. Dort, wo die Hauptstraße die Ringstraße überquerte und in die LeningradStraße überging, bog die Kolonne ab und nahm eine andere Route Richtung Stadt.
    Arkadi beschleunigte und verlangsamte die Fahrt, während ein schnittiges, metallblaues Motorrad mit zwei Männern im konstanten Abstand von hundert Metern hinter ihm blieb. Sie hätten ihm beim Überholen einfach eine Kugel in den Kopf schießen können. Arkadi glaubte jedoch nicht, daß sie riskieren würden, das Gemälde zu beschädigen.
    Ein leichter Regen hatte eingesetzt. Arkadi blickte auf das Armaturenbrett. Keine Scheibenwischer. Er drehte das Radio an, und nach Tschaikowski hörte er die Anweisung, sich ruhig zu verhalten. »Melden Sie die Umtriebe von Provokateuren. Sorgen Sie dafür, daß die verantwortlichen Organe ihre Pflicht tun können. Denken Sie an die tragischen Ereignisse auf dem Tienanmen-Platz, als pseudodemokratische Agenten unnötiges Blutvergießen provozierten.« Die Betonung lag auf »unnötig«. Er fand auch einen Sender, der vom Haus der Sowjets aus operierte und den Staatsstreich verurteilte.
    Als er bei rotem Licht vor einer Ampel hielt, schloß das Motorrad hinter ihm auf. Es war eine Suzuki, das gleiche Modell, das er und Jaak vor dem Keller in Ljubertsi bewundert hatten. Der Fahrer trug einen schwarzen Helm und eine wie eine Rüstung anliegende Ledermontur. Als Minin vom Rücksitz sprang, mit flatterndem Regenmantel, eine Hand am Hut, trat Arkadi aufs Gas, raste zwischen den von rechts und links kommenden Fahrzeugen hindurch und ließ das Motorrad hinter sich zurück.
    Aus der Untergrundstation Woikowskaja quollen Scharen von

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