Das Labyrinth
gebrauchter Schigulis und Saporoschets, deutsche Trabants mit Zweitaktmotoren und italienische Fiats, die so rostig waren wie Schwerter aus dem klassischen Altertum. Käufer gingen vorbei, begutachteten Reifen, Kilometerstand und Polster und ließen sich mit einer Taschenlampe auf die Knie nieder, um zu sehen, ob der Motor Öl verlor. Jeder war ein Fachmann. Selbst Arkadi wußte, daß ein im fernen Ischewsk gebauter Moskwitsch einem in Moskau gebauten Moskwitsch überlegen und nur an den Insignien auf dem Kühlergrill als solcher zu erkennen war. Rund um die Wagen standen Tschetschenen in Trainingsanzügen, dunkle, untersetzte Männer mit niedriger Stirn und aufmerksamen Blicken.
Jeder betrog hier. Die Wagenverkäufer gingen zu den hölzernen Verschlagen der Gutachter, um zu erfahren, welchen Preis sie - je nach Modell, Baujahr und Zustand verlangen konnten. Auf diesen Preis dann mußten sie Steuern entrichten, allerdings hatte er keine Ähnlichkeit mit dem, was tatsächlich vom Käufer gezahlt wurde. Jeder Käufer, Verkäufer und Gutachter - wußte, daß der wirkliche Preis dreimal höher lag. Die Tschetschenen betrogen auf die verschlagenste Weise. Wenn ein Tschetschene erst einmal die Wagenpapiere in der Hand hatte, zahlte er nur den offiziellen Preis, und der Verkäufer hatte nicht die mindeste Chance, den Rest seines Geldes einzutreiben. Ebensogut hätte er einem wilden Wolf einen Knochen entreißen können. Natürlich verkauften die Tschetschenen den Wagen dann sofort zum vollen Preis weiter. Der Stamm machte ein Vermögen im Südhafen. Nicht bei jedem Verkauf - das hätte zur Folge gehabt, daß keine neuen Wagen mehr auf den Markt gekommen wären -, aber bei jedem zweiten oder dritten. Die Tschetschenen beherrschten den Markt wie ein ererbtes Stück Land.
Jaak und Arkadi blieben etwa in der Mitte der Autoreihe stehen, und Jaak wies mit einem Kopfnicken auf einen allein stehenden Wagen fast am Ende. Es war eine alte, schwarze Tschaika-Limousine, die wohl einmal einem Mitglied der Regierung gehört hatte, mit einer geschwungenen Stoßstange aus spiegelblank poliertem Chrom. Die Seitenfenster der Rücksitze waren mit Vorhängen verhängt.
»Scheißaraber«, sagte Jaak.
»Das sind genausowenig Araber, wie du einer bist«, sagte Arkadi. »Ich dachte, du hättest keine Vorurteile. Mahmud ist ein alter Mann.«
»Ich hoffe, er ist noch kräftig genug, um dir seine Schädelsammlung zu zeigen.«
Arkadi ging allein weiter. Der letzte zum Verkauf angebotene Wagen war ein Lada, der aussah, als wäre er zum Abwracken auf den Markt geschleppt worden. Zwei junge Tschetschenen mit Tennistaschen hielten Arkadi auf und fragten ihn, wer er sei und wohin er wolle. Als er Mahmuds Namen nannte, brachten sie ihn zu dem schrottreifen Lada, drängten ihn auf den Rücksitz, tasteten Arme, Beine und seinen Körper nach einer Schußwaffe oder einem Draht ab und befahlen ihm zu warten. Einer von ihnen ging hinüber zum Tschaika, der andere setzte sich auf den Beifahrersitz, öffnete seine Tasche und drehte sich um. Ein Gewehrlauf erschien zwischen den beiden Vordersitzen, die Mündung auf Arkadis Schoß gerichtet.
Es handelte sich um einen nagelneuen »Bär«-Karabiner mit abgesägtem Lauf. Die beiden Sonnenblenden des Wagens waren mit Perlen gesäumt, das Armaturenbrett mit Fotos von Weintrauben und Moscheen sowie mit Abziehbildern von AC/DC und Pink Floyd geschmückt. Jetzt setzte sich ein älterer Tschetschene hinters Steuer, ohne Arkadi weiter zu beachten, und öffnete einen Koran, aus dem er mit monotoner Stimme laut vorlas. Am kleinen Finger beider Hände trug er einen schweren goldenen Ring. Ein zweiter Tschetschene setzte sich mit einem in Papier gewickelten Schaschlikspieß neben Arkadi und reichte allen, auch Arkadi, ein Stück Fleisch - nicht gerade freundlich, sondern eher so, als sei er ungebetener Gast. Das einzige, was denen noch fehlt, dachte Arkadi, sind Schnauzbarte und Patronengürtel. Der Lada stand mit dem Heck zum Markt, und im Rückspiegel konnte Arkadi Jaak sehen, wie er verschiedene Wagen prüfte.
Tschetschenen haben nichts mit Arabern zu tun. Tschetschenen sind Tataren, ein westlicher Ableger der Goldenen Horde, die einst die Bergfeste des Kaukasus besiedelte. Arkadi betrachtete die Postkarten auf dem Armaturenbrett. Die Stadt mit den Moscheen war ihre Hauptstadt Grosni, wie in »Iwan Grosni«, Iwan dem Schrecklichen. Hatte es die Seele der Tschetschenen womöglich geschädigt, mit so einem Namen
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