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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Regierung zu verhindern. Die Armee hat nichts unternommen, als aserbaidschanische Aktivisten in der Hauptstadt gegen Armenier vorgingen, griff aber ein, als die Menge drohte, die Parteizentrale niederzubrennen. Panzer- und Infanterie-Einheiten durchbrachen die von militanten Antikommunisten errichteten Blockaden und besetzten die Stadt, feuerten, ohne provoziert worden zu sein, Dumdum-Geschosse ab und nahmen auch Mietshäuser unter Beschuß. Bei dem Angriff sollen Hunderte, wenn nicht Tausende Zivilisten getötet worden sein. Obwohl der KGB verbreiten ließ, daß die Aserbaidschaner mit schweren Maschinengewehren bewaffnet gewesen seien, wurden bei den Toten nur Jagdwaffen, Messer und Pistolen gefunden.«
    Arkadi hatte sich endlich von Polina verabschiedet und war rechtzeitig zu Irinas erster Nachrichtensendung nach Hause gekommen. Cognac mit einer Frau, dann ein Rendezvous mit der Stimme einer anderen. Was für ein kompliziertes Leben, dachte er.
    »Die militärische Operation wurde offiziell mit gewalttätigen Ausschreitungen des Mobs gegen Armenier begründet, angestachelt durch militante Aktivisten, die aufgrund von Dokumenten, die sie bei sich trugen, als Führer der Aserbaidschanischen Volksfront identifiziert wurden. Da die Volksfront aber keine derartigen Dokumente ausstellt, ist anzunehmen, daß wieder einmal der KGB hinter den Provokationen steckt.«
    Während Arkadi zuhörte, zog er ein trockenes Hemd und ein anderes Jackett an.
    Wer hatte recht? Sie. Er. Es gab kein Recht oder Unrecht, kein Schwarz oder Weiß. Arkadi sehnte sich nach Gewißheit, selbst im Unrecht zu sein, wäre eine Erleichterung. Er war so oft in seine Erinnerungen zurückgekehrt, daß die Abdrücke seiner Füße jeden Steinpfad dorthin abgetragen hätten, und doch wußte er immer noch nicht, was er damals hätte anders machen können. Zu Polina hatte er gesagt: »Ich werde es wohl nie wissen.«
    »In verstärktem Maße«, sagte Irina, »macht Moskau nationale Spannungen für die Anwesenheit sowjetischer Truppen in verschiedenen Republiken verantwortlich, so in den baltischen Staaten, in Georgien, Armenien und Aserbaidschan, in Usbekistan und der Ukraine. Panzer und Raketenabschußrampen, die im Rahmen der Waffenkontrollvereinbarungen mit der Nato verschrottet werden sollten, sind statt dessen in die nach Unabhängigkeit strebenden Republiken verbracht worden. Im Gegenzug wurden Atomsprengköpfe aus diesen Republiken in die Russische Republik zurückgeschafft.«
    Er  hörte  kaum  ihre Worte. Jedes  Gerücht war schlimmer als ihre Nachrichten, die Wirklichkeit war schlimmer. Wie ein Imker, der den Honig von der Wabe trennt, war er imstande, nur ihre Stimme zu hören und nicht ihre Worte. Sie klang dunkler heute, diese Stimme. Hatte es in München geregnet? War die Autobahn dort verstopft? Lebte sie mit jemandem zusammen?
    Sie hätte sagen können, was sie wollte, er hätte ihr zugehört.
    Manchmal hatte er das Gefühl, aus dem Fenster fliegen und am Himmel über Moskau kreisen zu können. Er wollte sich von ihrer Stimme leiten lassen wie von einem Leuchtfeuer, das ihm den Weg wies - weit, weit fort.
     
    Arkadi verließ seine Wohnung - nicht auf Schwingen, sondern mit Scheibenwischern, die er an seinem Wagen befestigte, ehe er sich in den mittlerweile abendlichen Verkehr einfädelte. Die hereinbrechende Nacht verband sich mit dem Regen, um die Straßen schwer befahrbar zu machen und verwischte Lichtreflexe auf der Windschutzscheibe entstehen zu lassen. An der Uferstraße mußte er anhalten, um einen Konvoi von Militärfahrzeugen und Mannschaftswagen vorbeizulassen, der lang und langsam wie ein Güterzug war. Während er wartete, suchte er in seinem Jackett nach Zigaretten, fand einen Umschlag und stöhnte leise auf, als er den Brief erkannte, den Below ihm auf dem Roten Platz gegeben hatte. Die feinen Buchstaben begannen schmissig und endeten in ausgezogenen Linien, als hätte die Hand plötzlich nicht mehr die Kraft gehabt, die Feder zu führen.
    Polina hatte gefragt, was die schlimmste Art zu sterben sei. Als er den Brief in der Hand hielt und seine Leichtigkeit spürte, die Schatten des an der Windschutzscheibe herabrinnenden Wassers über seinem Namen, wußte Arkadi die Antwort: Wenn man dabei erkannte, daß niemand betroffen war. Daß man eigentlich bereits tot war. Er hatte dieses Gefühl nicht, würde es nie haben. Allein Irinas Stimme ließ ihn so lebendig werden, daß sein Herz bei jedem Schlag bebte. Was hatte sein Vater

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