Das Labyrinth
von Seiten einer sowjetischen politischen Organisation kann dabei nur von Nutzen sein.«
»Das heißt seitens der Partei?«
»Um offen zu sein, ja. Aber das ist nicht nötig.«
»Das ist Kapitalismus?«
»Nein, kein reiner Kapitalismus. Ein Zwischenstadium.«
»Kann so ein Jointventure auch Rubel transferieren?«
»Nein.«
»Dollar?«
»Nein.«
»Wirklich ein ausgesprochenes Zwischenstadium.«
»Es kann Öl ausführen. Oder Wodka.«
»Haben wir soviel Wodka?«
»Zum Verkauf im Ausland.«
»Müssen eigentlich alle Jointventures von Ihnen genehmigt werden?« fragte Arkadi.
»Das sollten sie, geschieht aber nicht immer. In Georgien oder Armenien neigt man dazu, eigene Abkommen zu treffen. Deswegen exportieren Georgien und Armenien auch nichts mehr nach Moskau.« Er lachte in sich hinein.
»Zum Teufel mit denen.«
Das Büro befand sich im zehnten Stockwerk und bot einen Blick auf Sturmwolken, die von Osten nach Westen zogen. Kein Fabrikrauch, da wichtige Teile aus Swerdlowsk, Riga und Minsk nicht eingetroffen waren.
»Was hat die TransKom als Handelsbereich eintragen lassen?«
»Import von Sport- und Freizeitgeräten. Gesponsert vom Leningrad-Komsomol. Boxhandschuhe und so was, vermute ich.«
»Auch Spielautomaten?«
»Offensichtlich.«
»Im Austausch gegen was?«
»Personal.«
»Leute?«
»Nehme ich an.«
»Was für Leute? Boxer, Kernphysiker?«
»Reiseleiter.«
»Für Reisen - wohin?«
»Deutschland.«
»Deutschland braucht sowjetische Reiseleiter?«
»Offensichtlich.«
Arkadi fragte sich, was der Mann sonst noch zu glauben bereit war. Daß Klein-Lenin als Baby Münzen unter sein Kopfkissen gelegt hatte, um Zähne dafür zu bekommen?
»Hat die TransKom Angestellte?«
»Zwei.« Der Mann las in den vor ihm liegenden Akten.
»Viele Stellenbeschreibungen, aber nur zwei Angestellte. Rudik Abramowitsch Rosen, sowjetischer Bürger, und Boris Benz, wohnhaft in München, Deutschland. Die Adresse der TransKom ist die von Rosen. Es gibt womöglich noch einige Geldgeber, aber die sind nicht aufgeführt. Entschuldigen Sie.«
Er bedeckte die Akten mit der Prawda.
»Das Ministerium hat nicht etwa die Namen der Reiseleiter?«
Der Mann faltete die Zeitung fein säuberlich zusammen.
»Nein. Wissen Sie, hier kommen Leute her, um ein Jointventure zur Einfuhr von Penicillin eintragen zu lassen, und das nächste, was man von ihnen hört, ist, daß sie mit Basketball-Schuhen handeln oder Hotels bauen. Sobald die Bedingungen für einen freien Markt einmal geschaffen sind, kennt der unternehmerische Einfallsreichtum keine Grenzen mehr.«
»Was werden Sie machen, wenn der Kapitalismus dereinst in voller Blüte steht?«
»Ich werde mir schon etwas einfallen lassen.«
»Sie haben Phantasie?«
»Oh, ja.« Aus einer Schublade holte der Mann eine Rolle mit Schnur, biß ein etwa armlanges Stück davon ab und steckte es mit der Prawda in seine Jacke. »Ich bringe Sie hinaus. Ich wollte sowieso gerade zum Essen.« Bürokraten überlebten dank der Butter, des Brotes und der Wurst, die sie aus ihren Kantinen mit nach Hause nahmen. Die Jacke des Mannes war abgetragen, und die ausgebeulten Taschen glänzten speckig.
Der Wagankowskoje-Friedhof war liebevoll, aber nicht unbedingt sorgfältig gepflegt. Nasse Blätter lagen ungefegt um Linden, Birken und Eichen, Löwenzahn säumte die Gehwege, und niedriges Gestrüpp bedeckte die weichen Überreste natürlichen Verfalls. Viele der Grabsteine trugen Büsten getreuer Parteianhänger, aus Granit und schwarzem Marmor gehauen: Komponisten, Wissenschaftler, Schriftsteller des Sozialistischen Realismus, mit breiten Stirnen und herrischem Blick. Bescheidenere Seelen wurden von Fotos verewigt, die wie Kameen in den Stein eingelassen waren. Da die Gräber von eisernen Zäunen umgeben waren, schienen die Gesichter auf den Grabsteinen aus schwarzen Vogelkäfigen zu spähen. Doch nicht alle. Das erste Grab hinter dem Eingang war das des Sängers und Schauspielers Wisotzky und so mit Gänseblümchen und Rosen, noch vom Regen glänzend, überhäuft, daß das Summen der sich in ihnen tummelnden Hummeln noch in ziemlicher Entfernung zu hören war.
Arkadi fand die Trauerprozession seines Vaters auf dem Mittelweg des Friedhofs. Kadetten, die einen Stern aus roten Rosen und ein Kissen mit Orden trugen, gingen einem Leichenträger voran, der den Handwagen mit dem Sarg schob, dann folgten ein Dutzend schlurfender Generäle in dunkelgrünen Ausgehuniformen und weißen Handschuhen, zwei
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