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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Musiker mit Trompete und zwei mit einer Tuba, die einen Trauermarsch aus einer Sonate von Chopin spielten.
    Below, in Zivil, gehörte der Nachhut an. Seine Augen leuchteten auf, als er Arkadi sah. »Ich wußte, daß du kommen würdest.« Ernst ergriff er mit beiden Händen Arkadis Hand. »Natürlich hättest du nicht wegbleiben können, es wäre ein Skandal gewesen. Hast du die Prawda heute morgen gesehen?«
    »Als Einwickelpapier.«
    »Ich wußte, daß du das hier gern lesen würdest.« Er gab Arkadi einen Nachruf, den er offenbar sauber mit einem Lineal aus der Zeitung herausgetrennt hatte.
    Arkadi blieb stehen, um zu lesen. »General Kiril Iljitsch Renko, ein prominenter sowjetischer ArmeeKommandeur.«
    Es war ein langer Artikel, er überflog ihn und las einzelne Passagen. »… nach Absolvierung der Frunse-Militärakademie beteiligte sich K. I. Renko aktiv am Großen Patriotischen Krieg und begann damit eine Karriere, die zu den ruhmreichsten seiner Zeit zählte. Als Kommandeur einer Panzerbrigade wurde er durch den ersten Ansturm der faschistischen Invasion von seinen Truppen abgeschnitten, schloß sich jedoch Partisanenkräften an und organisierte Überfälle hinter den feindlichen Linien . kämpfte erfolgreich in den Schlachten zur Verteidigung Moskaus, in der Schlacht von Stalingrad, in der Steppenkampagne und bei Operationen rund um Berlin . Nach dem Krieg war er verantwortlich für die Stabilisierung der Lage in der Ukraine und übernahm dann ein Kommando im Militärbezirk des nördlichen, mittleren und südlichen Ural.« Mit anderen Worten, dachte Arkadi, der General, der da jetzt leblos in seinem Sarg lag, war verantwortlich für die Massenexekutionen ukrainischer Nationalisten, die so blutig verliefen, daß er in den Ural abkommandiert werden mußte. »Zweimal mit dem Titel Held der Sowjetunion, viermal mit dem LeninOrden, einmal mit dem Orden der Oktoberrevolution, dreimal mit dem Orden des Roten Banners, zweimal mit dem Suworow-Orden (Erster Klasse), zweimal mit dem Kurosow-Orden (Erster Klasse) ausgezeichnet …«
    Below hatte sich eine Rosette mit verblaßten Bändern an sein Jackett geheftet. Sein weißes, kurzgeschnittenes Haar stand in spärlichen Stoppeln vom Kopf ab, schlechtrasierte Kehllappen hingen, ihm über den Kragen.
    »Danke«. Arkadi steckte den Nachruf in seine Tasche.
    »Hast du den Brief gelesen?«
    »Noch nicht.«
    »Dein Vater hat gesagt, er würde alles erklären.«
    Dazu bedarf es mehr als eines Briefes, dachte Arkadi. Dazu bedürfte es eines dicken, in schwarzes Leder gebundenen Wälzers.
    Die Generäle marschierten in tatterigem Gleichschritt voran. Arkadi hatte nicht das Bedürfnis, zu ihnen aufzuschließen.
    »Boris Sergejewitsch, erinnerst du dich an einen Tschetschenen namens Mahmud Chasbulatow?«
    »Chasbulatow?« Es fiel Below schwer, dem Wechsel des Gesprächsthemas zu folgen.
    »Mahmud behauptet, in drei Armeen gedient zu haben - in der Weißen, der Roten und der deutschen. Nach meinen Unterlagen ist er neunzig. 1920, während des Bürgerkrieges, muß er neunzehn Jahre alt gewesen sein.«
    »Das ist möglich. Es gab viele Kinder auf beiden Seiten, bei den Weißen und den Roten. Schreckliche Zeiten damals.«
    »Nehmen wir mal an, daß Mahmud zu Hitlers Zeiten in der Roten Armee war.«
    »Jeder hat damals gedient, in der einen oder anderen Weise.«
    »Ich habe mich gefragt: War mein Vater im Februar 1944 nicht im tschetschenischen Militärbezirk?«
    »Nein, nein. Wir sind damals nach Warschau vorgestoßen. Die Tschetschenen-Operation war absolut zweitrangig.«
    »Zu bedeutungslos, um die Zeit eines Helden der Sowjetunion in Anspruch zu nehmen?«
    »Zu bedeutungslos, um auch nur eine Sekunde seiner Zeit in Anspruch zu nehmen«, sagte Below.
    Ist es nicht erstaunlich, dachte Arkadi, wie konsequent sich manche Leute aus dem aktiven Dienst zurückziehen? Below hatte erst vor kurzem das Büro des Oberstaatsanwalts verlassen. Jetzt hatte Arkadi ihn nach dem Boß der Tschetschenen-Mafia gefragt, und der alte Unteroffizier konnte sich nicht mal mehr an dessen Namen erinnern, ganz so, als habe sein Geist schon vor vierzig Jahren den Abschied genommen.
    Sie gingen schweigend weiter. Arkadi fühlte sich beobachtet. In Marmor und Bronze standen die Toten über ihren Gräbern. Ein Tänzer führte eine Pirouette aus, erstarrt in weißem Stein. Ein Entdecker betrachtete sinnend den Kompaß in seiner Hand. Vor einem Relief aus Wolken nahm ein Pilot seine Schutzbrille ab. Allen gemein war

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