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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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lange Tisch inzwischen fast vollständig besetzt war und die Leute Hähnchenkeulen, Rippchen und viele Brezeln verzehrten und mit goldenem Bier gefüllte Maßkrüge an den Mund führten.
    »Amüsieren Sie sich gut?« fragte der Mann mit dem Brathähnchen.
    Arkadi zuckte mit den Achseln, um sich nicht durch seinen russischen Akzent zu verraten.
    Der Mann warf einen abschätzigen Blick auf Arkadis abgetragenen Mantel. Er sagte: »Sie mögen das Bier, das Essen und das Leben hier? Es ist gut. Wir haben vierzig Jahre dafür gearbeitet.«
    Die anderen Leute am Tisch achteten nicht auf ihn. Arkadi fiel ein, daß er außer dem Eis noch nichts gegessen hatte, aber der Tisch war so mit Lebensmitteln überladen, daß er fast kein Bedürfnis mehr danach verspürte. Die Kapelle ging von Strauß zu Louis Armstrong über. Er trank sein Bier aus. Natürlich gab es auch Biertheken in Moskau, aber da sie keine Krüge oder Gläser hatten, füllten die Wirte das Bier in Milchtüten ab. Wie Jaak gesagt hätte: »Der Homo sovieticus gewinnt mal wieder.«
    Doch nicht jeder hatte das erkannt. Als Arkadi seinen Stadtplan öffnete, nickte der Mann an der anderen Seite des Tisches, als habe sich sein Verdacht bestätigt.
    »Wieder ein Ostzonaler. Das ist die reinste Invasion.«
    Arkadi verließ den Biergarten und ging auf die nächsten Gebäude hinter den Bäumen zu. Wie sich herausstellte, waren es IBM-Büros und ein Hilton-Hotel. Die Eingangshalle des Hotels hätte ein arabisches Zeltlager sein können. Jeder Sessel und jedes Sofa war besetzt von Männern in weißen, fließenden Dschellabas. Viele von ihnen waren alt, mit Spazierstöcken und Betperlen gewappnet. Arkadi vermutete, daß sie nach München gekommen waren, um sich hier behandeln zu lassen. Dunkelhäutige Jungen in Hosen und offenen Hemden spielten Fangen. Ihre Schwestern und Mütter trugen arabische Kleidung, die verheirateten Frauen tief verschleiert, so daß nur ihr Kinn und ihre Stirn zu sehen waren, und von schweren Parfümschwaden umgeben.
    Auf der Auffahrt zum Hotel fotografierte ein junger Araber einen anderen neben einem neuen, roten Porsche. Als der sich schließlich auf die Stoßstange setzte, löste er mit lautem Hupen und blinkenden Lichtern die Alarmanlage des Wagens aus. Ein paar Jungen rannten um den Wagen herum und schlugen auf die Kühlerhaube, während der Portier und der Gepäckträger ihnen ausdruckslos zuschauten.
    Arkadi fand den Weg wieder, den er mit dem Taxi genommen hatte, und folgte dem Ostrand des Parks bis zu den Museen der Prinzregentenstraße. Autos huschten unter den Straßenlaternen an ihm vorbei. Der Himmel war bereits dunkler als an einem Moskauer Sommerabend, und die klassische Fassade des Hauses der Kunst wirkte wie zweidimensional.
    Arkadi entdeckte, daß die Westseite des Parks von der Königinstraße begrenzt wurde, in der Boris Benz wohnte. Die Häuser entsprachen in ihrer imposanten Größe dem Namen der Straße - prächtige Villen hinter duftenden Rosen und schmiedeeisernen Toren mit der Aufschrift: »Achtung! Bissiger Hund!«
    Das Haus, in dem Benz wohnte, lag zwischen zwei Jugendstilgebäuden, der deutschen Antwort auf die Art nouveau. Sie sahen aus wie zwei über ihre Fächer lugende Matronen. Dazwischen befand sich eine Art »Remise«, die zu Ärztepraxen umgebaut worden war. Nach der Klingel zu urteilen, lag Benz’ Wohnung im zweiten Stock. Das Licht war aus. Arkadi drückte dennoch auf den Knopf. Für alle Fälle. Niemand meldete sich.
    Die Tür des Hauses wurde von bleigefaßten Glasscheiben umrahmt. Auf dem Tisch in der Diele standen eine Vase mit getrockneten Kornblumen und drei ordentlich voneinander getrennte Briefstapel.
    Keine Antwort, als Arkadi den Knopf für den Hausmeister drückte. Er versuchte es im Erdgeschoß, eine Stimme meldete sich, und Arkadi sagte: »Hier ist Benz. Ich habe den Schlüssel verloren.« Er hoffte, sich richtig ausgedrückt zu haben.
    Die Tür summte und öffnete sich. Arkadi durchblätterte schnell die Post: medizinische Fachzeitschriften und Anzeigen für Wagenpflege und Sonnenstudios. Der einzige Brief für Benz war von der Bayern-Franken Bank. Jemand namens Schiller hatte seinen Namen mit der Hand über die Adresse des Absenders geschrieben.
    Wer immer Arkadi hereingelassen hatte, war nicht völlig vertrauensselig. Die Erdgeschoßtür öffnete sich und ein strenges Gesicht unter einer Schwesternhaube blickte heraus und fragte: »Wohnen Sie hier?« Ihre Augen waren auf die Post

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