Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
nichts zu merken.
»Entschuldigung, das wollte ich nicht. Setzen Sie sich. Bitte.«
Sie nimmt auf der Parkbank Platz. Er setzt sich neben sie.
»Und?«, fragt sie. »Was sollen Sie mir ausrichten?« Sie wirkt nervös und ein wenig unbeholfen. Ihre Selbstsicherheit, mit der sie sonst oft durch die Gegend stolziert, scheint dahin.
Er erzählt ihr von sich, leise und mit der beruhigenden Stimme eines orientalischen Märchenerzählers. Sie hört zu, als wäre es bereits Teil der zu überbringenden Seelenbotschaft.
»Als ich so alt war wie Sie, war ich eine Zeit lang glücklich. Ich stellte mir vor, dass dieses Glück nie aufhören würde, dass es immer weitergeht, verstehen Sie?«
Er sieht, wie sie überlegt. Sie versteht nichts, versucht ihm aber auf die Schliche zu kommen.
»Das war ein Irrtum. Das Glück ging nicht weiter. Das Glück endete ganz plötzlich, ohne mein Zutun. Ich konnte nichts dafür. Es wurde mir entrissen, einfach so, von jetzt auf gleich, und blieb verschwunden, bis es sich nach über zwanzig Jahren wieder bei mir gemeldet hat. Es klingelte an meiner Tür, ich machte auf, und da stand es, das Glück. Es hatte mich wiedergefunden. Und ich wusste, ich würde alles tun, es nie wieder zu verlieren. Nie wieder, verstehst du?«
Er sieht sie an. Sie schüttelt den Kopf, fragt schließlich: »Was hat das mit Kitty zu tun?«
»Das weißt du nicht?«
»Nein.«
»Aber du warst doch eine Freundin von ihr.«
»Das schon, aber …«
»Du hast ihr doch Tipps gegeben. Du wusstest doch immer, was für sie am besten ist, nicht wahr?« Er lässt sie nicht aus den Augen.
»Was soll das?« Sie rutscht unruhig auf der Bank hin und her. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich habe mich immer gefragt, wie du sicher sein kannst, was gut und schlecht ist, richtig und falsch. Nicht nur für dich, auch für andere. Woher willst du das wissen?«
»Was?«
»Hattest du nie Zweifel, dass für andere schädlich sein könnte, was gut für dich selbst ist?«
Sie rückt ein wenig von ihm ab. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Ich kenne dich besser, als mir lieb ist.«
Sie lacht. Für einen Moment ist ihre Überheblichkeit zurück. Er lässt sich davon nicht beeindrucken.
»Ich bin gleich fertig«, sagt er seelenruhig, noch immer mit einer Stimme wie aus 1001 Nacht, und erzählt weiter. Sie traut sich nicht, aufzustehen, hört ihm weiter gebannt zu, scheint langsam eine Ahnung zu bekommen, wovon er erzählt.
»Einmal saß ich mit dir sogar am selben Tisch. Bei Starbucks in der Friedrichstraße, in deiner Mittagspause. Ist hier noch frei, fragte ich und setzte mich dir direkt gegenüber, erinnerst du dich? Daneben saß deine Freundin Greta. Sie heißt doch Greta, nicht wahr?«
Sie nickt in den dunklen Park hinein.
»Ich habe jedes Wort verstanden, das ihr gesprochen habt, und in mich aufgesogen, während ich so getan habe, als wäre ich ganz in meine Zeitung vertieft. Ihr habt doch gedacht, dass ich in meine Zeitung vertieft bin, nicht wahr?« Er macht eine kurze Pause. Sie reagiert nicht.
»Als ihr den Tisch verlassen habt, hast du gelächelt. Weißt du, was ich gedacht habe? Schlange, habe ich gedacht. Das Lachen wird dir schon noch vergehen!«
Ihre Unsicherheit weicht dem Zorn. Sie scheint ihren ganzen Mut zusammenzunehmen und sagt: »Wenn Sie mir nicht auf der Stelle sagen, was Sie von mir wollen, gehe ich!«
Sie erinnert ihn in diesem Moment an seine Frau, damals, vor mehr als zwei Jahrzehnten. Derselbe fordernde Gesichtsausdruck, dieselbe Überheblichkeit in der Stimme, dieselbe eingeschnappte Art.
Sie zögert, will aufstehen. Völlig überraschend greift er nach ihr, packt sie mit der einen Hand am Hals. Mit der anderen schlägt er ihr so heftig ins Gesicht, dass sie auf die Parkbank zurückfällt und für Augenblicke das Bewusstsein verliert. Als sie wieder zu sich kommt, ringt sie nach Luft und hustet. Sie spürt einen Druck am Hals und ein breites Klebeband auf ihrem Mund. Zwischen Nase und Kinn ist der Kopf mehrmals damit umwickelt. Sie sitzt noch immer auf der Parkbank, nur sind ihre Arme jetzt weit ausgestreckt, denn Handschellen ketten ihre Hände an das Gestell der Bank. Ihre Nase blutet.
Er steht vor ihr und überlegt, ob er die Geschichte weitererzählen soll. Einfach weitersprechen, da, wo er aufgehört hat. Er entscheidet sich dagegen. Stattdessen zieht er sich die Einweghandschuhe an und nimmt ein Teppichmesser aus der Jackentasche, fährt die Klinge aus und zerschneidet ihr T-Shirt. Dann
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