Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
Woyzeck weiterspielt, bleibt sie liegen.
»Weib! – Nein, es müsste was an dir sein! Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.« 4
Sie wird ohnmächtig. Liegt beim Lichtwechsel zur nächsten Szene noch immer wie tot auf der Bühne. Das Theater weicht der Wirklichkeit. Die Kollegen verlassen die einstudierten Rollen, sind entsetzt, erschüttert. Manche weinen, andere sagen: »Wie hätte man das wissen sollen?« Der Theaterarzt versorgt sie medizinisch. Das Saallicht geht an. Die Zuschauer sind aufgerüttelt, erschrocken. Auch die, die bis dahin schon geschlafen haben. Manche sind unsicher, ob das zur postmodernen Inszenierung gehört, ein geschmackloser Schabernack des Regisseurs. Oder doch eher ein Unfall?
Als der Inspizient vor den zugezogenen Vorhang tritt und mit zitternder Stimme sagt, wobei er sich mehrmals verhaspelt, dass die Vorstellung wegen eines Zwischenfalls abgebrochen werden müsse und dass es im Foyer ein Glas Sekt auf Kosten des Hauses gebe, ist allen klar, dass das Unglück nicht inszeniert ist.
Der Rettungswagen kommt. Sie ist noch immer nicht bei sich. Ist woanders, im Schwarz, ist tief hinabgestürzt ins Zwischenreich, wo sich Sterben und Leben treffen, wo alles in Zeitlupe verläuft und langsam zerfällt.
Erst im Krankenhaus wacht sie wieder auf.
»Sie haben Glück gehabt«, sagt der behandelnde Arzt.
Das Glück der anderen ist das eigene Unheil , denkt sie und weiß: Von jetzt an ist alles anders.
ICH
»Vergiss es, Hài. Du bist für mich nur ein angenehmer Zeitvertreib. Eine Affäre, verstehst du?« Greta lacht triumphierend. »Ja, ich gebe zu, du bist ein ganz guter Liebhaber. Aber ein Mann fürs Leben bist du nicht. Das weißt du aber auch, oder?«
»Und du? Woher weißt du das?«
Sie ignoriert meine Frage und fährt im selben Tonfall fort. Sie scheint sich ihrer Sache sicher.
»Damit ich keine Affäre für dich bin, musst du eine für mich sein, verstehst du?« Ihr Lächeln gehört zu dem Schönsten, was ich kenne.
»Doreen«, sage ich. »Hätte ich mir denken können. Alles klar.«
Greta scheint ihre Heiterkeit zu verlieren. Ich merke, wie sie wütend wird, ohne es sich eingestehen zu wollen.
»Ich brauche nicht Doreen, um das zu kapieren«, sagt sie und lacht wieder. Dieses Mal klingt es angestrengt, künstlich. »Du bist einer, dem man sein Herz vor die Füße wirft und der es nicht einmal merkt, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.«
Ich weiß nicht, ob sie gekränkt oder froh darüber ist. Es sieht so aus, als könnte sie sich selbst nicht entscheiden.
»Ich drehe den Spieß um, mein Lieber.« Es klingt wie eine Drohung. »Das hättest du nicht gedacht, was?«
Ich bin mir nicht sicher, ob sie nur mit mir spielt oder es tatsächlich ernst meint.
»Hast du dich schon in mich verliebt?« Sie lacht wieder und gewinnt dabei ihre Lockerheit zurück. Sie küsst mich auf die Wange. Ich rieche ihr Parfüm und bin sofort wieder erregt.
Meine Abhängigkeit von ihr tritt in ein anderes, gefährlicheres Stadium, als sie mit der Zunge über mein Ohr leckt und mir zuflüstert: »Du bist nicht der Einzige, Hài. Und sicher auch nicht der Letzte.«
Greta ist neben mir eingeschlafen. Ich liege die ganze Nacht wach. In meinem Schädel haust ein Tier, das mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Ein Käfer mit den Augen des toten Jungen. Ein Käfer, der spricht. Mit einem Mund, der mich an das weggeschossene Lachen erinnert. In einer Sprache, die ich zunächst nicht verstehe. Bis der Käfer deutlicher wird und sagt: »Tu doch nicht so! Du willst bloß nicht verstehen, was du längst weißt. Du bist alleine, wirst immer alleine sein, auch wenn dein Kopf in noch so vielen Armbeugen liegt. Du hast keine echten Freunde, denen man sich anvertraut, die das Schicksal mit einem teilen. Die da sind, wenn man sie braucht. Du hast niemanden. Keinen, der dich vermisst, wenn du nicht mehr bist. Du bist allein. Auf jede deiner Freundinnen konntest du im Grunde von Anfang an verzichten. Sie haben deinen Alltag angenehmer gestaltet, ja, aber bei keiner hast du dich ganz und gar hingegeben. Weil du gar nicht dazu fähig bist. Weil du gefühlskalt bist wie ein zugefrorener Weiher. Dein Herz ist ein Eisklumpen, der nur aus unberührbaren Kristallen besteht. Meist hattest du sie satt, nachdem du ein paar Mal mit ihnen geschlafen hattest. Oft hast du einen Vorwand gesucht, sie wieder loszuwerden. Liebe war und ist für dich ein Fremdwort, das du nicht mal über die
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