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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Dazwischen verlief auf Brusthöhe eine Mauer, an deren Stirnseite ein Wasserhahn angebracht war. Acht stinkende, verdreckte Porzellanschüsseln ohne Deckel, darüber ein kleiner verrosteter Spülkasten. Jeder Gefangene hatte zehn Sekunden Zeit. Ich zog meine Hose herunter und setzte mich vorsichtig. Viel Massel hatte ich nicht: In der Türöffnung stand ein SS -Mann. Angestrengt spannte ich meinen Schließmuskel an. Ich spürte, wie mir das Blut zu Kopf stieg. Auf der Toilette fiel ein roter Kopf nicht weiter auf. Das bedeutete, dass man presste, nicht, dass man etwas anhielt. Aber wie lange würde das noch gutgehen?
    Zu meinem Glück drehte sich der Deutsche um. Schnell hielt ich die Hand unter meinen Hintern und entspannte mich. Ich konnte die Hand mit dem Stein gerade noch wegziehen, bevor ein langer schmutziger Strahl hervorschoss.
    Der Deutsche hatte sich wieder umgedreht und sah mich argwöhnisch an »Ist was?«
    »Nein.« Ich senkte den Blick.
    »Hände herzeigen!«
    Ich sah ihn begriffsstutzig an.
    »Verdammt, du blöder Hund! Bist du taub? Hände herzeigen!«
    Ich hob die Hände. Den Diamanten klemmte ich für den Aufseher unsichtbar zwischen meine Finger – die Folge endlos langweiliger Zaubertrickübungen. Ich konnte das auch mit Münzen.
    Er nickte.
    Durch den Betonflur ging es weiter in einen Raum, über dessen Tür Waschen stand. An den Längswänden gab es vier lange Waschbecken aus einem senfgelben, marmorartigen Stein. Pro Reihe vier Hähne, Seifenablagen und grüne Seifenstücke. Ich steckte mir den unglückseligen Stein in den Mund. Ein etwas überstürzter Entschluss. Am Waschbecken wusch ich mich mit einer fettigen Seife, die nicht schäumte, doch alles, was ich roch und schmeckte, war Kot.
    Nebenan, im Haarschneideraum, warteten bereits vier Gefangene mit Rasiermessern. Nervös und hastig entfernte mir ein »Barbier« mit seinem stumpfen Werkzeug sämtliche Körperbehaarung: erst die im Gesicht, dann die von Achseln, Brust und Schamgegend. Ich hatte überall Schnittwunden.
    »Langsam«, zischte ich.
    »Das geht nicht«, flüsterte er. »Muss schnell sein.«
    Anschließend wurde ich mit einer Haarschneidemaschine, die sich schmerzhaft durch meine Kopfhaut pflügte, kahl geschoren.
    In einem namenlosen Raum saßen Männer hinter Tischen und warteten darauf, die Tätowierungen vornehmen zu können. Mit einer spitzen »Feder« wurden aus mehreren Punkten bestehende Ziffern in die Haut meines Unterarms gestochen und anschließend mit Tinte eingerieben. Ich biss mir auf die Lippen vor Schmerz. Der Mischung aus Blut und Tinte konnte ich mit Mühe meine Registriernummer entnehmen: 173545. Nur der waagrechte Strich der Fünf war nicht sehr gelungen. Zur gründlichen Desinfektion der Schnittwunden wurde mein Körper mit einem rauen, lysolgetränkten Jutesack eingerieben. Das scheuerte und brannte höllisch.
    Wir wurden nach oben getrieben. Dort lagen meterhohe Stapel gestreifter Lagerkleidung. Ich suchte schnell nach Mütze, Hemd, Jacke, Hose, Unterhose und einem Paar Holzpantinen. Socken fand ich keine. Das Hemd spannte unter den Armen, die Hose war viel zu groß. Die Kleider rochen stark nach Chlor und anderen Desinfektionsmitteln, sie waren ausgebleicht und hier und da verschlissen. Aus zweiter Hand. Oder aus dritter, vierter, fünfter. Wir bekamen Nadel und Faden, um unsere Nummer auf die Jacke zu sticken.
    Würden sie uns durchsuchen? Unbemerkt schob ich den Diamanten mit etwas Speichel an seinen altbekannten Ort und spuckte ein paarmal auf den Boden.
    Wir mussten uns erneut auf dem Appellplatz versammeln. Die Haut um meine Tätowierung war rot angeschwollen und schmerzte. Ich sah mich vorsichtig um. Überall dieselben kahlen, stramm stehenden Männer in gestreiften Schlafanzügen. In weniger als einer Stunde waren diese Antiquitä tenhändler, Anwälte, Lumpensammler, Buchhalter, Apotheker, Vertreter, Setzer, Ärzte, Textilverkäufer und Künstler nummeriert und gleichgeschaltet worden. So standen wir gute zwanzig Minuten da.
    »Ich kann nicht mehr …«, stöhnte ein magerer Junge neben mir. Er zitterte.
    »Halt durch!«, flüsterte ich.
    Er schwankte. Ich stellte mich hinter ihn und versuchte ihn unter den Achseln zu packen, doch ihn hatten sämtliche Kräfte verlassen. Plötzlich versetzte mir jemand einen Schlag auf den Hinterkopf. Ein Aufseher zerrte mich aus der Reihe. »Verdammte Scheißjuden!«, rief er. »Fünf am Arsch!« Er zeigte auf meinen erschöpften Leidensgenossen.

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