Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
Vom Netzwerk:
schätzte ihn auf ungefähr Ende vierzig.
    »Ein Holländer also«, sagte er mit einer trägen, tiefen Stimme. »Du hast die Deutschen bereits kennengelernt, nicht wahr? Ist dir im Lager was aufgefallen?«
    »Ich finde die Menschen äußerst unhöflich.«
    Ein kurzes Schweigen, dann lachte er heiser. »Humor! Das ist gut, Holländer, sehr gut. Bewahr ihn dir, solange du kannst. Ich wollte dich sehen. Du warst doch derjenige, der einem Kameraden auf dem Appellplatz geholfen hat?«
    »Ja.«
    »Nobel.« Seine Miene verdüsterte sich. »Und dumm. Sehr dumm! Als barmherziger Samariter kommst du hier nicht weit. Es ist ein Wunder, dass du überhaupt vor mir stehst.«
    Schlomo sah mich forschend an.
    »Weißt du, was schade ist?«
    Ich schüttelte den Kopf. Er bog sich verschwörerisch vor. »Sie haben die Beschwerdestelle geschlossen. Kurz bevor du ankamst!«
    Wieder dieses heisere Lachen, gefolgt von einem Hustenanfall. »Nobel, Holländer, und gefährlich. Humor: sehr gut! Setz dich, setz dich!«
    Ich zeigte auf meinen Hintern. »Kaputt.«
    Er nickte, schob mir ein altes Stück Brot hin und zeigte darauf.
    »Iss, iss!«
    Ich nahm ein paar Bissen. Das Brot schmeckte nach Lehm. Schlomo betrachtete mich wohlwollend.
    »Halte dich an die Regeln, Holländer. Jeden Tag zum Appell, morgens und abends. Viel arbeiten. Nimm dich vor der SS in Acht. Und vor den Kapos: Das sind durchgeknallte deutsche Kriminelle, die sehr grausam sein können.«
    »Was wissen Sie über die andere Reihe?«, fragte ich kauend. »Ich meine: Wo sind die Leute? In welcher Baracke?«
    »Die Leute von … die von der Ankunft?« Ein Schatten glitt über sein Gesicht. Er stand langsam auf und bedeutete mir, ihm zu folgen. Wir gingen nach draußen. Er zeigte auf einen großen Schornstein in der Ferne. In der Dunkelheit waren die herausschlagenden Flammen gut zu erkennen.
    »Da.«
    Ich verstand nicht.
    »Sie sind tot, Holländer. Durch den Kamin. Die Menschen aus der rechten Reihe sind Asche im Fluss.« Er fächelte sich Luft zu. »Riechst du das nicht?«
    »Es stinkt nach Lager. Aber …«
    »Es gibt drei solche Schornsteine. Den von Krematorium I, den von Krematorium II und den von Krematorium III.«
    Wieder machte sich Stille breit. Ich lachte. »Humor«, sagte ich. »Humor, sehr gut!« Damit wollte ich das Entsetzen auf seinem Gesicht vertreiben. »Nein, Holländer. Das ist ein Vernichtungslager.«
    Wir gingen zurück in sein Zimmer. Schlomo setzte sich. Ich legte meine Hände auf die Rückenlehne des Stuhls und beugte mich weit vor. Ich war mehr als fassungslos. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, aber nicht mit dem Undenkbaren.
    » Anus Mundi, Holländer. Das ist der Arsch der Welt. Ich habe noch mehr schlechte Neuigkeiten: Laut der SS beträgt deine Lebenserwartung hundert Tage, und du kannst hier auf unterschiedlichste Weise zu Tode kommen: durch Gas, durch eine Kugel, durch Prügel, durch einen elektrischen Schlag oder am Galgen. Du kannst auch an Erschöpfung, Krankheiten, Hunger oder Kälte sterben. Oder ertrinken, wenn du in eine Scheißgrube fällst. Ein Tag ist ein Tag. Hast du das verstanden, Holländer?«
    Ich bekam kaum mit, was er sagte.
    »Und die Frauen?«, fragte ich. »Junge Frauen?«
    »Die sind in einem anderen Lager.«
    »Gott sei Dank.« Ich sagte es mehr zu mir als zu Schlomo.
    »An Gott glaube ich nicht mehr«, sagte der Pole. »Ich habe einfach bloß Glück gehabt. Im Juni 1942 bin ich hierhergekommen. Wenige Monate später wurde ich krank. Ich stand in der Gaskammer und wartete auf die Dusche. Wir alle warteten, darunter viele Polen. Aber es kam kein Wasser aus der Dusche. Und auch kein Gas! Kein Wasser, kein Gas!« Er lachte sich ins Fäustchen. »Das Gas war alle! Und ich habe bis jetzt überlebt! Deshalb bin ich Blockältester.«
    Ich musste an die Familie von Max, dem Diamantenhändler, denken.
    »Und die Kinder?«
    »Jüdische Kinder?«
    »Ja.«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Polnische Kinder: ja. Jüdische Kinder: nein. Hast du Familie hier?«
    »Nein. Aber hier sollen Zwillinge sein, zwei jüdische etwa zwölfjährige Jungen. Der Vater ist im Viehwaggon umgekommen und …«
    »Zwillinge werden gebraucht. Auch jüdische.«
    Ich hörte, wie die Außentür aufging. Schlomo stand auf, nahm einen Napf aus dem Schrank und drückte ihn mir in die Hand. »Hier, für die Suppe, Holländer. Lass nie eine Ration aus, niemals!« Er schubste mich aus dem Zimmer.
    Zwei Gefangene standen hinter einem großen Eisenbottich. Die

Weitere Kostenlose Bücher