Das Lachen und der Tod (German Edition)
Schlange war schon ziemlich lang. Kam ich zu spät? Ich stellte mich an. Einige Männer vor mir wurden wütend und gestikulierten wild: »Vorne anstellen!« Verblüfft ging ich nach vorn. Kurz darauf bekam ich ein Stück Brot und eine Kelle Suppe in meinen Napf, wässrige, lauwarme Kohlsuppe. Ich kostete davon und beschloss, nichts auszuspucken.
In der Baracke standen vorn und hinten je ein steinerner, etwa ein Meter hoher Kachelofen, der mit Holzscheiten beheizt wurde. Die beiden Öfen waren durch eine dreißig Meter lange und einen halben Meter hohe »Betonbank« miteinander verbunden. Die Bank fühlte sich angenehm warm an und enthielt folglich ein Heizrohr. Viele Häftlinge legten ihre Kleider zum Trocknen auf den »Heizkörper«. Dampf stieg auf, der nach nassem Hund roch.
Eine langer Lulatsch trat neben mich und stellte sich als Peter aus Prag vor.
»Neu hier, oder?«, fragte er.
Ich nickte.
»Ich bin schon seit acht Monaten da«, sagte er. »Im Tausch gegen dein Stück Brot verrate ich dir, warum du dich vorne anstellen musst.«
Ich zögerte, willigte aber schließlich ein. Er schlang das Brot sofort hinunter. »Die Ersten«, sagte er kauend, während er mit dem Zeigefinger ein Stück Brot von der Wangeninnenseite kratzte, »die Ersten bekommen Wassersuppe. Schau, was du in deinem Napf hast. Nichts! Das ganze nährstoffreiche Gemüse befindet sich unten im Topf. Das bekommen die in der Mitte der Schlange. Die Allerletzten bekommen meist gar nichts mehr.«
Später am Abend wies Schlomo mir eine Schlafkoje zu. I ch übernahm den Platz eines verstorbenen Gefangenen. Der Mann lag in der Nähe der Tür, mit geschlossenen Augen und all seiner Kleider und Habseligkeiten beraubt. Seine gelbliche Haut spannte sich wie gegerbtes Leder über seine Knochen. Was mich jedoch am meisten bestürzte, war sein Gesichtsausdruck: Er lächelte, ganz so, als wäre er als Toter besser dran.
»Den nimmt gleich der Leichenträger mit«, sagte Schlomo. »Abends werden die Toten abgeholt.« Er hob mahnend den Zeigefinger und sah mich streng an. »Pass auf, Holländer! Sorg dafür, dass du das Bett morgens ordentlich hinterlässt! Die Decke zusammenfalten. Dein Strohsack muss parallel zu den anderen Strohsäcken liegen. Wenn was mit dem Bettenbau nicht stimmt, gibt es Stockschläge. Heute schläfst du mit zwei anderen. Genieß den Luxus! Morgen oder übermorgen kommen bestimmt wieder Transporte. Dann teilst du dir diese Pritsche mit drei oder vier Personen.«
Während Schlomo in sein Privatgemach schlurfte, warf ich einen Blick auf meine Nachbarn. Sie kehrten mir den Rücken zu, einer schnarchte laut. Als ich mich auf den Strohsack setzte, wurde ich von Läusen besprungen. Mit dem Daumennagel gelang es mir, bestimmt zwanzig zu zerquetschen, aber ich hätte ewig so weitermachen können. Draußen schneite es, ich sah die Flocken vor den Dachfenstern. Ich rollte den Diamanten zwischen meinen Fingern hin und her. Wohin mit dem Stein? Die Bretter meiner Pritsche waren lose, nur das nutzte mir nicht viel. In meinen Strohsack? Das war mir zu riskant. In einem Querbalken entdeckte sich ein Astloch. Dort schob ich den Stein hinein. Er passte genau in die Lücke. Unbemerkt fegte ich etwas Sand auf dem Betonboden zusammen und füllte das Loch damit auf.
So etwas wie Stille gab es in der Baracke nachts nicht: Hunderte von Häftlingen schnarchten, murmelten im Schlaf, bliesen die Backen auf, seufzten und husteten. Ich lag auf der Seite, um meinen wunden Hintern so gut es ging zu entlasten. Irgend was bewegte sich bei der Leiche. Eine Ratte. Ich sah, wie sie an einer Nackenfalte schnupperte und begann, den Kopf anzuknabbern. Doch der Mann hörte einfach nicht auf zu lächeln.
8
Ein Schrei weckte mich. In der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen, von wem und woher er kam. Mein Hintern tat weh, aber dafür waren meine Kopfschmerzen nicht mehr so stechend. Ich zitterte vor Kälte. Das Feuer im Ofen war längst erloschen, die Heizung gab keine Wärme mehr ab. Überall ein beißendes Jucken.
An Schlaf war nicht länger zu denken.
Mir fiel auf, wie viele Männer sich jammernd auf den Pritschen hin und her wälzten. Meine Gedanken kehrten zu den Menschen zurück, die aussortiert worden waren. Eigentlich hatte ich Glück gehabt. Ich war allein. Und Helena lebte hoffentlich auch noch.
Ich dachte an meinen Vater. Es war keine dreißig Jahre her, dass er im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte. Wen hatte es schlimmer getroffen, ihn oder mich? Ich war
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