Das Lachen und der Tod (German Edition)
mit einem Löwen und einer Löwin drauf.
Bei den Affen ahmte ich einen Gorilla nach, der sich wild auf die Brust trommelte. Sie lachte laut auf, wenn auch eine Spur zu lang, doch ich fand es fantastisch, sie zum Lachen zu bringen. Nach einer Viertelstunde kamen wir zum Spielplatz. Ich hatte keine Lust auf Schaukeln und Rutschbahnen, aber am Sandkasten traf meine Mutter einen befreundeten Schauspieler, der mit seinen zwei Töchtern da war. Es dauerte nicht lange, und sie saß neben ihm auf der Bank. Gleich darauf ließ sie sich darüber aus, welche Schande es doch sei, dass nicht sie die Hauptrolle in einem Stück bekommen habe, dessen Titel ich bald wieder vergaß. Ich hockte auf der Bank gegenüber, aber sie würdigte mich keines Blickes. Auch die Tiere, die Fische und Vögel waren völlig nebensächlich geworden. Die einzigen Raubtiere, die ich an jenem Nachmittag sah, waren die Löwen auf dem Foto.
Und mein Vater? Der schrieb Artikel, Berichte, Interviews. Währenddessen träumte er davon, ein Schriftsteller oder Dichter zu sein. Er verschanzte sich oft in seinem Arbeitszimmer, hinter seinem Mahagonischreibtisch mit grüner Ledereinlage. Ich kannte diesen Schreibtisch in- und auswendig. Darauf standen eine Messinglampe mit grünem Glasschirm, Fässer mit roter und schwarzer Tinte sowie ein Pfeifenständer mit fünf Pfeifen. Aber das Prunkstück war seine schwarz glänzende deutsche Erika-Schreibmaschine mit dem Spritzgussgehäuse.
Wenn es Abend wurde, zündete mein Vater sich eine Pfeife an und spannte ein Blatt Papier in de Maschine. Meist wollte er allein sein, aber hin und wieder duldete er mich in sei nem Reich. Beim angenehmen Duft von Pfeifentabak, Nähmaschinenöl und Tinte fühlte ich mich ihm näher denn je. Manchmal durfte ich auf seinem Schoß sitzen und selbst auf die Tasten hauen. Das tat ich gern und mit voller Wucht. Ich lachte über die Glocke und war fasziniert von den vorspringenden Metallhebeln und dem tanzenden schwarzen Band. Am besten gefielen mir allerdings die Buchstaben, Wörter und Sätze.
»Was schreibst du, Papa?«, fragte ich dann.
»Das ist ein Geheimnis, mein Junge.«
Wenn er arbeitete, spielte ich vor seinem Schreibtisch mit Holzbauklötzen oder einem Blechauto, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Ich hatte das Pech, dass meine Eltern lieber in einer Fantasiewelt lebten, aber dafür ging ich schon früh eigene Wege. Ich war oft im Souterrain in der Küche beim Personal, wo meine Karriere als Komiker begann. Ich trat auf vor Geertje, unserer Haushälterin aus dem Stadtteil Jordaan, ihrem Mann Hendrik, dem Faktotum, und vor Neeltje, der schwermütigen Köchin, die berühmt war für ihren Rinderein topf mit Zwiebeln und Speck. Während meiner Vorstellung saßen sie brav auf einem Stuhl und genossen meine Lieder und Geschichten. Wenn ich mevrouw nachahmte, lachte sich Geertje halb tot. Ich konnte meine Mutter und ihren stürmischen Stechschritt perfekt imitieren. Zur Sicherheit pflegte Hendrik die Fenster zu schließen und die Küchentür abzusperren, damit sie nicht ihre Anstellung riskierten.
Am Weihnachtsabend 1913 hatten meine Eltern Besuch, unter anderem vom Direktor und vom Regisseur des Theater ensembles meiner Mutter. Geertje erzählte mir später, dass sie lang und breit über die politischen Spannungen in Europa und die Verleihung des Nobelpreises an einen indischen Dichter schwadroniert hätten. Ich war sechs Jahre alt und verkündete stolz, Clown werden zu wollen. Doch dafür fanden sie mich viel zu brav. Einer der Gäste wollte besonders originell sein und riet mir zur Priesterlaufbahn. Darüber wurde höflich gelacht. Ich tauchte die Klobürste in die Toilettenschüssel und segnete die Gäste im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das gebratene Perlhuhn war soeben serviert worden. Meine Mutter tobte. Mein Vater schwieg, zwinkerte mir aber heimlich zu. Das habe ich genau gesehen.
Und dann kam der Krieg. Ich saß eines Abends oben an der Treppe und konnte hören, wie meine Mutter weinte.
»Du hast mich, und du hast Ernst. Warum gehst du?«
»Ich muss, Mimi. Ich muss. Ich bin Deutscher.«
Dabei blieb er. Zum ersten und einzigen Mal ergriff ich vollständig Partei für meine Mutter. Ich hoffte, sie würde ein Riesentheater deswegen veranstalten, genau wie auf der Bühne, ihn auf Knien anflehen zu bleiben. Ich hätte ihr die ständige Abwesenheit sofort verziehen, Hauptsache, sie schaffte es, meinen Vater zum Bleiben zu überreden.
Kein Tag
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