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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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das andere Tier geschlagen gibt. Aber Schweinz gehörte zu einer ganz besonderen Tierart, die nur entfernt mit der menschlichen Rasse verwandt ist. Der Mann rappelte sich auf, nahm den Sack Zement und hinkte zur Baustelle, während der Kapo nicht von ihm abließ. Ich stand neben dem Waggon. So unauffällig wie möglich beobachtete ich die Szene. Neben mir stand ein etwa achtzehnjähriger Junge. »Das ist mein Vater«, sagte er grim mig und wischte sich mit dem Ärmel eine Träne aus den Augen.
    Keine halbe Stunde später war ich müde. In meinem Eifer, Schlägen zu entgehen, hatte ich meine Kräfte nicht gut eingeteilt. Ich konnte kaum noch laufen. Manchmal hatten die Säcke Risse, und der graue Zementstaub vermischte sich mit dem Schweiß in meinen Halsfalten. Das scheuerte und brannte. Am Vormittag begann es erneut leicht zu schneien. Das Eiswasser ließ den Zementstaub noch mehr an meiner Haut kleben, wodurch ich eine Art Betonkragen bekam. Mit geschmolzenem Schnee versuchte ich, mir den Hals abzuwischen, aber die Haut war bereits so gereizt, dass sie blutete.
    Immer mehr Träger rutschten aus. Sie rappelten sich so schnell wie möglich wieder auf. Schweinz hatte seinen Knüppel gegen eine Reitgerte eingetauscht, sie steckte in einem Lederfutteral an seinem Gürtel. Ein großer, langsam dahinschlurfender Mann trug einen Sack Zement, der durch die Feuchtigkeit riss. Er wurde unter dem Staub begraben. Ich sah eine graue, bewegungsunfähige, gespenstische Erscheinung.
    »Sabotage!«, rief Schweinz. »Du Sauhund!«
    Er fing an, mit seiner Reitgerte auf ihn einzudreschen. Der Gefangene konnte wegen des Zementstaubs in seinen Augen nichts sehen, und seine Hände versuchten verzweifelt, die Schläge abzuwehren. Nach ein paar Schlägen auf die Ohren stürzte er. Der Kapo nahm seinen Stock und prügelte weiter auf ihn ein, bis die graue Gestalt reglos liegen blieb. Ich stand in der Reihe vor dem Waggon, um einen neuen Sack entgegenzunehmen. Brüllend kam Schweinz auf mich zu, packte mich am Oberarm und schubste mich in Richtung des Opfers.
    »Abtransportieren!«
    Zögernd ging ich auf den Mann zu. Sein Schädel war zertrümmert. Ich sah Knochenstücke, die wie Tonscherben aussahen, und eine ekelerregende Mischung aus Blut, Haaren, klebrigem Zementstaub und Hirnmasse. Er lag in der Embryonalhaltung da, mit gebrochenen Augen. Ich packte seine Knöchel und schleifte ihn langsam zum Waggon. Sein Kopf polterte über den Boden. Ich drehte mich nach vorn, um die Spur, die er hinterließ, nicht sehen zu müssen.
    Ich legte den Mann neben einen Waggon und kauerte mich hinter eines der Eisenräder, um kurz zu verschnaufen. Schnell entleerte ich meinen Darm und wischte mir mit einem großen Kiesel den Hintern ab. Meine Füße taten höllisch weh. Das lag an den Holzschuhen: Weil der Rand so scheuerte, hatte ich Blasen bekommen, die aufgeplatzt waren. Meine Zehen schmerzten vor Kälte. Ich warf einen Blick auf den Toten. Lange musste ich nicht überlegen. Ich zog ihm die Pantinen aus. Wegen seiner geschwollenen Gliedmaßen war das gar nicht so einfach. Ich legte seine Fußlappen auf meinen Fußrücken und meine Zehen. Danach zog ich an seinen Hosenbeinen und nahm ihm die Hose ab. Sie war nass und starrte nur so vor Schlamm und Schnee, außerdem war sie mir mindestens eine Nummer zu groß. Ich schämte mich ein wenig deswegen, aber die Aussicht auf Wärme gab letztlich den Ausschlag. Die Jacke ließ ich ihm. Zu viel roter Zement.
    Schweinz hustete und war schon ganz heiser vom vielen Schreien. Trotzdem war er unermüdlich und hielt das Tempo aufrecht. Am Ende des Vormittags lagen bereits drei Tote neben dem Waggon. So langsam verzweifelte ich. Sollte keiner von uns diesen Tag überleben?
    Um zwölf Uhr ertönte eine Sirene. Pause. Ein Lastwagen mit eisernen Kesseln fuhr vor. Wir bekamen Suppe und chleb, Brot, mit einem kleinen Stückchen Wurst. In der trüben Brühe entdeckte ich Kohlstücke und eine halbe verfaulte Kartoffel. Mein Mund war staubtrocken, mein Hals war geschwollen und schmerzte, aber die Unterbrechung tat gut.
    Zwei SS -Männer hielten auf der Baustelle Einzug. Der eine war ein Arier, wie er im Buche steht, blond mit hellblauen Augen. Der andere hatte eine deutlich sichtbare Narbe an der Wange und den arroganten Blick eines Dreisternegenerals. Sie schienen mit der Arbeit dieses Vormittags nicht zufrieden zu sein. Schweinz wand sich wie eine Schlange vor seinen Vorgesetzten.
    Aus der Entfernung sah ich, wie der jüdische

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