Das Lachen und der Tod (German Edition)
Nach unten gucken. Die Kapos suchen die besten Arbeiter für die schwerste Arbeit.«
»Ich verstehe das System nicht«, sagte ich. »Meiner Meinung nach brauchen die Deutschen jede Menge Arbeitskräfte. Und trotzdem werden wir zu Tode geprügelt und geschunden. Wir bekommen minimale Essensrationen, sodass wir kaum noch Kraft haben. Das ist doch nicht logisch.«
Schlomo sah mich nachdenklich an. »Wie viele Häftlinge sind hier im Lager? Na, was schätzt du?«
»Zwanzigtausend?«
»Bestimmt sechzigtausend. Und wie viele SS -Männer gibt es?«
»Keine Ahnung.«
»Dreitausend, die Kapos nicht mitgerechnet. Das heißt, dass auf zwanzig Männer ein SS -Mann kommt. Versetz dich doch mal in die Deutschen hinein, Holländer! Wie verhinderst du, dass zwanzig Gefangene auf einen SS -Mann losgehen?«
»Dadurch, dass ich Angst und Terror säe.«
»Das reicht nicht.«
»Dadurch, dass ich die Leute schwäche.«
»Genau. Indem du die Menschen dermaßen aushungerst, dass sie nur noch eines im Kopf haben: zu überleben. Denn wenn du gesund bist, kommst du auf andere Gedanken. Dann denkst du an Rache. Oder an Flucht. Aber zu schwach darfst du auch nicht werden. Deshalb gibt es ja die Krankenbaracken im Lager. Schwach bleiben, aber stark genug, um zu arbeiten, das ist das Verhältnis, das die Deutschen anstreben.«
Schlomo lief zum Schrank und griff nach einem Paar Wollsocken. »Extrakleidung. Für morgen.«
»Nobel, Schlomo. Nicht gut.«
Er grinste. »Die sind nicht gratis. Du erzählst mir einen Witz.«
»Einen Witz? Worüber?«
»Einen Witz! Du wirst doch wohl einen Witz kennen?«
»Über Hitler?«
Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Ja«, sagte er vergnügt. »Über Hitler.«
Ich räusperte mich.
»Adolf Hitler fährt mit seinem Chauffeur über Land. Er will Kontakt zu ganz normalen Deutschen aufnehmen. Um nicht erkannt zu werden, hat er sein Bärtchen abrasiert und eine blonde Perücke aufgesetzt. Bei einem Bauernhof geht der Chauffeur voll auf die Bremse. Zu spät, ein Hahn wurde überfahren. Hitler steigt aus, packt das tote Vieh am Schwanz und klingelt beim Bauern. Kurz darauf kehrt er mit einer blutigen Nase zurück. ›Mein Führer, was ist passiert?‹, ruft der Chauffeur.
›Der Bauer war nicht begeistert‹, sagt Hitler. ›Das war sein einziger Hahn.‹
Sie fahren weiter. Plötzlich läuft ein Schwein über die Straße. Der Chauffeur kann dem Tier erneut nicht ausweichen und fährt es tot. ›Jetzt gehe ich‹, sagt der Chauffeur. Er bleibt zwanzig Minuten weg und kommt dann leicht angetrunken mit Blumen und Champagner zurück.
›War der Bauer nicht wütend?‹, fragt Hitler überrascht.
›Im Gegenteil, er war außer sich vor Freude‹, sagt der Chauffeur.
›Was hast du denn gesagt?‹
›Heil Hitler, das Schwein ist tot.‹«
Schlomo lachte schallend, ja er lachte Tränen und sah aus wie ein Hofnarr. Er dauerte ein wenig, bis er sich wieder gefasst hatte. Schließlich schnäuzte er sich die Nase.
»Jetzt sind wir quitt«, sagte er trocken. »Du kannst ausgezeichnet Witze erzählen, Holländer.«
»Die SS hat uns heute Nachmittag als Neuankömmlinge begrüßt«, sagte ich. »Sie baten um Freiwillige, die Schweine versorgen wollen. Zehn Mann haben sie ausgewählt.«
Ich wusste nicht, warum ich das erzählte. Oder besser gesagt, ich wusste es schon: Ich wollte ihn damit auf die Probe stellen. Wenn dieser Pole auch nur ansatzweise darüber lachen konnte, wollte ich nichts mehr mit ihm zu tun haben.
»Sie wurden erschossen, nicht wahr?«, fragte er leise.
Ich nickte.
Er schwieg.
Ich steckte meine kalten Hände in die Socken.
»Was bist du eigentlich von Beruf?«, fragte ich.
Er lächelte traurig. »Was ich von Beruf bin … Vielleicht bin ich Schneider. Oder Straßenkehrer. Oder Professor. Das hat hier nichts zu bedeuten, Holländer. Zu viel Intellekt? Nicht gut. Denn dann denkt man zu viel nach. Man muss schlau und stark sein, jede Chance nutzen. Ich kenne jemanden, der war Bankdirektor. Der hat im Lager die ganz große Karriere gemacht. Jetzt ist er Kapo!«
Er sah mich forschend an. »Und du, Holländer? Was warst du?«
»Komiker.«
Er lachte schallend.
11
Der Frost ließ nach, die Tage wurden wärmer. Silbrig weißes Frühlingslicht huschte über die Landschaft. Nach Schneeglöckchen und Krokussen blühten jetzt die Narzissen, sogar in dieser Sumpferde. Ich versuchte, mich an den Alltag im Lager zu gewöhnen, obwohl es in meinem Arbeitskommando
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