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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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möglich, wie Schulkinder, die die richtige Antwort wissen. Im Vergleich zur schweren Arbeit im Freien bot eine Stelle als Schweinepfleger gute Überlebenschancen. Armand und ich standen in der vierten Reihe. Auch er hob die Hand. Ich zögerte. Die anderen SS -Männer amüsierten sich, wie mir schien. Es war unheimlich.
    »Pas bien!«, flüsterte ich, ohne den Kopf zu bewegen. Armand sah überrascht zur Seite. Ich zog seine Hand herunter.
    Einer der SS -Männer ging durch die Reihen und suchte einige Freiwillige aus, welche die Hände gehoben hatten. Er ließ seinen Blick über uns gleiten und zeigte noch auf zwei andere schräg hinter uns. Kurz darauf standen die zehn Auserwählten ängstlich, aber zugleich voller Hoffnung nebeneinander. Der Unteroffizier musterte sie spöttisch.
    »Schau an, diese Juden! Ihr wollt also sogar Schweine versorgen, um zu überleben. Wie das? Das verbietet euch schließlich euer Glaube?«
    Grinsend sah er sich um. Die anderen SS -Männer lachten inzwischen schallend. Die ausgewählten Häftlinge machten betretene Gesichter. Einige lachten nervös mit. Keine Schweine? Oder vielleicht doch? Ich erwartete, dass diese »Schweinepfleger« – nachdem wir uns alle gut amüsiert hatten – nach ein paar Schlägen wieder zurück ins Glied treten durften. Dann auf einmal kippte die Stimmung.
    »Auf die Knie!«, sagte der Unteroffizier mit eisiger Ruhe.
    Die Häftlinge zögerten.
    »Macht schon!«
    Erschrocken gingen die zehn auf die Knie.
    »Hände über den Kopf.«
    Er nickte den anderen SS -Männern zu. Mit fest entschlossenen Mienen zogen sie schnell ihre Pistolen und liefen auf die Reihe kniender Männer zu. Es ging ganz schnell. Die zehn Auserwählten bekamen einer nach dem anderen einen Genickschuss. Ein Junge drehte sich mit einem vor Todesangst verzerrten Gesicht um. Er bedeckte seinen Nacken mit beiden Händen. Der Unteroffizier schoss ihn in die Stirn.
    Neben mir begann Armand zu zittern.
    Auf dem Rückweg ins Lager schaffte ich es kaum noch, einen Toten zu tragen. Aber ich durfte mich nicht aufgeben, denn das wäre der Anfang vom Ende. In der Baracke lag ich schwer atmend auf meiner Pritsche. Ich versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Nebenbei bekam ich mit, woher der modrige Geschmack des Kaffees kam: Das war kein Kaffee, sondern nur ein Aufguss von Birkenrinde. Ich hatte mich überraschend schnell daran gewöhnt.
    Es gelang mir, einen guten Platz in der Suppenschlange zu ergattern. In der Mitte. Ein langer Lulatsch stellte sich vor mich und zeigte mit funkelnden Augen nach vorn. Ich ignorierte ihn. Er begann, mich zu kneifen und anzurempeln. Ich verlor die Fassung, boxte ihn so heftig in den Magen, dass er, völlig überrascht, ins Wanken geriet. Mit einem Stoß schubste ich ihn aus der Schlange. Schnell rappelte er sich auf und sah empört zum Kapo hinüber. Ich hatte nicht vor, ihn wieder in die Schlange zu lassen. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Und wenn ich schon ein Tier sein musste, dann bestimmt kein Lamm.
    Nach dem Abendappell wollte ich nur noch ins Bett. Schlomo sah, wie ich vorbeiging, und bedeutete mir, in sein »Büro« zu kommen. Mir blieb keine andere Wahl. Vorsich-tig nahm ich auf dem Stuhl Platz, so langsam heilte mein Hintern.
    »Holländer!«, rief er. »Wie geht’s?«
    Ich warf einen Blick auf seinen geborstenen Rohrstock. Die Augen des Polen wurden schmal.
    »Ah, verstehe.«
    Er stand auf und griff nach seinem Stock. Langsam kam er um den Tisch herum.
    Noch mehr Schläge? Für heute hatte ich wirklich genug.
    Mit lautem Rattern traf der Stock meinen Rücken. Doch zu meiner großen Überraschung schmerzte mir der Schlag mehr in den Ohren als auf dem Rücken. Einmal nur holte er aus, dann setzte sich Schlomo wieder. Mit seinem Rohrstock schlug er sich ein paar Mal auf den Oberarm und sah mich eindringlich an.
    »Augen und Ohren – sie glauben, dass ich brutal zuschlage. Das muss auch so sein, wegen der SS und der Kapos. Die denken: Schlomo ist grausam. Aber die Häftlinge wissen, dass Schlomo nicht grausam ist. Sein Stock macht Lärm, fühlt sich aber nicht schlimm an. Deshalb wollen mich alle behalten. Deshalb tun sie, was ich ihnen sage. Sonst kommt ein anderer Blockältester, der ihnen sehr wohl wehtut.«
    Ich entspannte mich. So ging es also auch.
    Er sah mich traurig an. »Wie war dein Tag?«
    »Miserabel.«
    »Halte durch, Holländer! Ich sah heute Morgen, dass du beim Appell in der ersten Reihe standest. Nicht gut. Hinten anstellen. Nicht auffallen.

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