Das Lachen und der Tod (German Edition)
Arme, so als würde er wie früher eine Weste und ein Hemd mit Manschettenknöpfen tragen. Ich nahm an, dass er mit einem der neueren Transporte gekommen war.
»Wenn Sie einem Bauern einen Witz erzählen, lacht er drei Mal. Das erste Mal, wenn Sie den Witz erzählten. Das zweite Mal, wenn Sie ihn erklären. Und das dritte Mal, wenn er ihn endlich begriffen hat.«
Ein paar Gefangene lachten.
»Wenn Sie einem Politiker einen Witz erzählen, lacht er zwei Mal. Das erste Mal, wenn Sie den Witz erzählen, und das zweite Mal, wenn Sie ihn erklären. Aber er wird ihn niemals begreifen. Und wenn Sie einem preußischen Offizier einen Witz erzählen, lacht er nur einmal. Denn er verbietet Ihnen, den Witz zu erklären, und natürlich versteht er nur Bahnhof. Und jetzt aufgepasst: Was passiert, wenn Sie einem Juden einen Witz erzählen?«
Er schaute feierlich in die Runde. Niemand erwiderte etwas, alle hörten bloß andächtig zu.
»Nun, mein sehr verehrtes Publikum, wenn Sie einem Juden einen Witz erzählen, sagt er, dass er ihn schon längst kennt – außerdem erzählen Sie ihn völlig falsch.«
Er machte eine perfekte Pause. Wieder Applaus.
»Kennen Sie noch einen?«, fragte ich.
»Ich kenne bestimmt hundert, mein Lieber! Aber lassen Sie mich mit einer Frage enden. An Gott.« Er sah devot nach oben, die Hände zum Gebet gefaltet. »Lieber Gott, seit rund fünftausend Jahren sind wir dein auserwähltes Volk. Dafür möchte ich dir danken. Aber ich bitte dich: Nimm jetzt um Himmels willen ein anderes! Es reicht!«
Ich klatschte. Im Gehen wandte er sich noch einmal kurz um und hob grüßend die Hand. Der Saal tobte, nur die Muselmänner auf der Pritsche blieben apathisch. Für mich bestand das Publikum jetzt nur noch aus diesen beiden Männern. Lewenthal gewann haushoch. Er hielt das Stückchen Wurst wie eine Trophäe in die Höhe und wartete mit dem Essen, bis ihn das Publikum nicht mehr sehen konnte.
Das hätte ein schöner Abschluss sein können, aber zwei Menschen musste ich noch eine Reaktion entlocken. Ich stellte mich vor sie. Lachte verführerisch. Hauchte einen Kuss in die Luft und zwinkerte ihnen zu. Einer der Muselmänner ging aus sich heraus und lächelte breit. Das war ein wunderbarer Moment – für ihn und für mich. Den anderen ließ ich in Ruhe. Er war für mich nicht mehr zu erreichen.
Wenige Tage später rief Schlomo mich in sein Zimmer. Mit triumphierender Geste legte er ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf den Tisch. Einen Brief, in einer schönen, geschwungenen Schrift. Ich überflog die Zeilen.
Lieber Ernst,
dein Brief tut mir gut. Ich hoffe auch sehr auf ein Wiedersehen, fürchte aber, das liegt nicht in unserer Hand. Es fühlt sich komisch an, so mit dir zu kommunizieren. So als wärst du ganz weit weg. Vielleicht ist das ja auch so, denn ich bin ebenfalls weit weg. Dein Brief gibt mir Mut.
Alles Liebe
Helena
Sie lebte noch. Mit einem Mal war alle Müdigkeit wie weggeblasen. Ich weinte, jubelte und tanzte um den Tisch. Der Pole war gerührt. »Holländer … Freudentränen sind hier nicht erlaubt.« Er stand auf und wühlte in seinem Schrank. Dann legte er einen neuen Zementsackfetzen auf den Tisch.
Ich setzte mich und schrieb hastig, ohne die Worte abzuwägen:
Liebe Helena,
wenn du von Weitem einen Schrei gehört hast, und zwar am frühen Abend des 14. April, dann stammte er von einem Mann, dem eine Frau geschrieben hat, die er liebt. Ich bin machtlos dagegen. Meine Gefühle für dich sind ebenso logisch wie unlogisch. Wenn du diesen Brief bekommst, zähle ich schon wieder die Stunden, bis du mir zurückschreibst.
Ich gehöre zu einem Baukommando, das Gräben aushebt. Ich habe hier mehrere Freunde gefunden. Und du? Wie verbringst du deine Tage? Sind die SS -Frauen genauso höflich und zuvorkommend wie die SS -Männer? Gibt es bei euch auch Zimmerservice? Ich habe schon mal so eine Aufseherin gesehen. Selbst wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte sie noch einen plumpen Gang gehabt! Ich würde dich zu gern zum Lachen bringen, Helena so wie die Menschen hier in der Baracke mit dem leeren Blick und dem leerem Magen. Aber irgendwann werden wir lachen, du und ich. Später.
Schreib schnell zurück. So schnell wie möglich.
Ernst
14
Ich litt an Schwindel, Kopfschmerzen und Schüttelfrost, versuchte jedoch meinen Zustand so gut es ging zu ignorieren. Es war ohnehin ein Wunder, dass mich im Winter keine Lungenentzündung dahingerafft hatte. Aber trotz der Euphorie über Helenas Brief,
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