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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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ein paar Leichen mit, bis seine Schubkarre voll war. Anschließend verschwand er wieder.
    Ich hörte Geigenmusik. Aus weiter Ferne. Die wehmütigen, melodiösen Klänge hatten hier nichts verloren. Träumte ich? Oder wurde ich langsam meschugge?
    Manchmal merkte ich, dass jemand kam. Er legte mir eine Tablette auf die Zunge und zwang mich, etwas zu trin ken, das nach Trauben schmeckte. Meist drang das erst richtig zu mir durch, wenn derjenige bereits weg war. Nur der süße Geschmack blieb. Anschließend überließ ich mich wieder den Gedanken und Bildern, die wie ein nie versiegender Strom an meinem inneren Auge vorbeizogen.
    Eines Tages wachte ich auf. Ich fühlte mich klarer im Kopf, nicht mehr so unruhig. Ich wusste, wo ich war. Auf dem Krankenrevier. Ich lebte noch, Helena nicht.
    Tief Luft holen.
    Das fiel mir schwer in dieser stinkenden, verbrauchten Luft. Ich hatte Kopfschmerzen, doch mein Fieber war gefallen. »So, Meneer Hoffmann, Sie sind wieder unter uns.« Doktor Levi.
    Ich schwieg.
    »Sie haben fünf Tage lang zwischen Leben und Tod geschwebt«, fuhr er fort. »Zitternd und schreiend. Das Schlimmste ist jetzt überstanden. Ich habe Ihnen ein Medikament gegeben, das eigentlich für SS -Offiziere reserviert ist, aber für Sie haben wir eine Ausnahme gemacht.«
    »Warum?«, fragte ich.
    »Sie wissen, warum.«
    Meinte er die Jacke im Waggon? Hätte ich sie ihm bloß nie gegeben!
    Levi zögerte. »Und noch etwas: Ich habe den Deutschen gesagt, dass Sie ein bekannter Komiker sind. Dass Sie eine Vorstellung im Viehwaggon gegeben haben. Der Offizier sagte irgendwas von wegen »Jeden Tag ein Lacher«, ohne dass ich verstand, was er damit meinte. Sie nehmen mir das hoffentlich nicht übel, doch das ist der Grund, warum Sie die besten Medikamente bekommen haben. Der Lagerkommandant möchte Sie sehen. Er heißt Müller.«
    Ich hustete. »Der Lagerkommandant? Was will denn der von mir?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Dann schicken Sie ihn ruhig mal vorbei. Ich muss zwar erst noch die anderen fragen, aber mir ist er willkommen.«
    Er lächelte. »Dass Sie wieder Witze machen, ist ein gutes Zeichen.«
    »Das war sarkastisch gemeint.«
    »Auch das ist ein Witz. Machen Sie sich keine Sorgen: Hierher verirrt sich in der Regel kein SS -Mann. Sobald Sie wieder ganz gesund sind, suchen Sie ihn auf.«
    17
    Eine Stunde später durfte ich das Inferno verlassen. Wegen der Ansteckungsgefahr kam ein Besuch beim Kommandanten noch nicht infrage. Mithilfe des »Pflegers« wurde ich in den Schonungsblock gebracht, an den Ort, wo ich mich zunächst gemeldet hatte. Ich wurde gewaschen und gereinigt – ganz behutsam unter einer warmen Dusche – und anschlie ßend sorgfältig trocken gerieben. Ohne Schelte, ohne Schläge.
    Der Pfleger brachte mich in einen Saal, diesmal war es ein richtiger Krankensaal. An der Wand standen ordentlich gezimmerte Holzpritschen. Ich roch Karbol, den typischen Desinfektionsmittelgeruch eines Krankenhauses, vermischt mit dem Duft nach brennendem Holz. Auf dem Granitboden stand ein mannshoher Ofen mit braunorangen Keramikkacheln, die in der Sonne glänzten.
    »Block neun ist die Fleckfieberbaracke«, sagte der Pfleger. Mir fiel auf, dass ich zum ersten Mal seine Stimme hörte. »Wir nennen ihn »die Scheißerei«. Neun von zehn sterben dort. Unten befindet sich ein Krankenrevier für Häftlinge mit weniger ansteckenden Krankheiten. Knochenbrüche, Lungenentzündung oder Erfrierungserscheinungen. Die Überlebenschancen sind besser.«
    »Und für wen ist dieser Saal hier?«
    »Für Prominente, aber nicht für welche von der SS .«
    Ich lag hier also mit Kapos und Blockältesten.
    Der Pfleger holte einen Kleiderstapel aus einem Metallspind und legte ihn auf die schmale Pritsche. Endlich ein Bett für mich allein! Ich bekam Brot und ein kleines Stück Salami. Ich hatte wieder Appetit und schlang die Nahrung hinunter.
    Nach dem Essen beschloss ich, mich auszuruhen. Es war schon Abend. Ich dachte an Müller. Warum wollte der Kommandant mich sprechen? Warum war es plötzlich nicht mehr egal, ob ich tot war oder noch lebte? Er war Helenas Mörder. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass ich ihm ausgeliefert war. Gleichzeitig war das meine Chance, etwas für die Kinder des Diamantenhändlers zu tun. Aber dafür musste ich vor meinem Besuch erst noch bei meiner Baracke vorbeischauen. Wie sollte ich sonst an den Diamanten kommen?
    Plötzlich entdeckte ich einen alten Bekannten. Ich hatte ihn vorher nicht erkannt. Auf

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