Das Lachen und der Tod (German Edition)
funktionierte nicht mehr. Ich begriff, dass Bläser selten waren: Pianisten, Geiger und Schlagwerker gab es im Überfluss. Der Mann erhielt die Anweisung, sich so gut wie möglich durchzumogeln.
Ich fragte mich, was wohl der bessere Balsam für die Seele ist: Musik oder Humor. Manche Psychiater behaupten, dass ein Mensch im Bann des Lachens vollkommen im Reinen mit sich und der Welt ist: Sämtliche dunkle Winkel der Seele werden dadurch durchlüftet und gereinigt. Trotzdem war es für mich undenkbar, mich als plattfüßiger, rotnasiger Clown unter die erschöpften, verängstigten Menschen zu mischen. Kapinsky und seine Kollegen dagegen konnten tatsächlich etwas für sie bedeuten. Worin bestand der Unterschied? Musik ist eine Sprache, die jeder versteht. Der virtuosen Klangbeherrschung liegt eine Schönheit zugrunde, die Trost spendet – und das in einem Ausmaß und in einer Intensität, von denen ich als Komiker nur träumen konnte.
26
Über uns lag das Bordell, wie ich erst nach zwei Tagen entdeckte, auf eine gänzlich unschuldige Art und Weise: Durch mein Kellerfenster hatte ich ein Mädchen mit langen Haaren vorbeischlendern sehen. Sie trug ein wunderschönes weißes Kleid und Lackpantoffeln – wie ein Aschenputtel, das sich hierher verirrt hatte. Als mich ein Musiker während der Suppenmahlzeit aufklärte, musste ich lachen. Ein Bordell über uns – das war dreist. Doch dann wurde mir klar, dass nichts daran dreist war. Die Mädchen waren bestimmt mit schönen Kleidern, warmen Mahlzeiten und falschen Versprechungen dazu überredet worden.
Der Puff sei nicht für SS -Leute bestimmt, erzählte der Musiker. Sondern nur für Kapos und Blockälteste. Als Belohnung für eine Woche Arbeit oder eine pünktlich erledigte Aufgabe erhielten sie ein abgestempeltes Stück Papier, einen sogenannten Schein. Mit dieser Währung konnten sie auch Zigaretten kaufen oder ein Konzert besuchen. Die Mädchen hatten jeweils ein eigenes Zimmer und mussten von neun Uhr morgens bis nach dem Abendappell arbeiten. Für jeden Kunden hatten sie genau zwanzig Minuten Zeit, und dann noch mal zehn Minuten für Hygienemaßnahmen. An einem Tisch an der Treppe saß ein ungepflegter SS -Mann, der die Scheine einsammelte.
An einem Freitagabend gegen acht saß ich vor der Baracke und genoss die Junisonne, deren Wärme langsam nachließ. Es war ein höchst produktiver Arbeitstag gewesen. Ich hatte beim Ausdenken von Pointen und Witzen mehrmals laut lachen müssen, und das war immer ein gutes Zeichen. Weiter hinten stand Albert Kapinsky mit einigen Musikern und ging das Repertoire durch. Soweit ich das beurteilen konnte, hatte er mehr als genug von so beliebten Ohrwürmern wie Bel Ami, An der schönen blauen Donau und O Sole mio . »Dann lieber eine Strauss-Polka!«, brummte er. Damit blamiere ich mich wenigstens nicht.« Jeden Tag hörte ich sie üben. Die Musik drang gedämpft zu mir herein, als liefe im Zimmer nebenan ein Grammofon.
Die Außentür der Baracke öffnete sich quietschend. Ein Mann lief langsam die Treppe herunter. Ich sah eine rote Armbinde: also ein Blockältester. Ich erkannte ihn sofort: Es war Schlomo.
Ich sprang auf und rannte ihm entgegen. Er war vollkommen überrascht. Wir umarmten uns.
»Holländer … Bist du nicht …?«
»Nein. Ich möchte jung sterben, mein Freund, aber das so spät wie möglich!«
Er umarmte mich erneut.
Ich erklärte ihm, dass ich an einem Programm für die SS arbeitete. Er schüttelte den Kopf. »Du bist doch Komiker!«
Wir gingen in mein Zimmer. Schlomo ließ sich auf meiner Bettkante nieder und sah sich beeindruckt um. Ich griff nach einem Stuhl. »Jeden Tag ein Lacher – gilt das immer noch?«, fragte ich.
»Manchmal«, sagte Schlomo. »Der Österreicher hat das übernommen.«
»Lewenthal. Simon Lewenthal.«
»Ja. Allerdings tut er sich schwer damit. Das Lagerleben macht ihm zu schaffen. Er ist im Kartoffelkommando und muss Waggons voller Kartoffeln ausladen. Schwerstarbeit. Viele Schläge. Er ist sehr erschöpft.«
»Und wie geht es Armand, dem Franzosen? Der lag neben mir auf der Pritsche.«
Er sah mich traurig an. Ich schluckte.
Ich berichtete ihm von der Fleckfieberbaracke, von der Hiobs botschaft in Bezug auf Helena, von meiner Beziehung zum Lagerkommandanten und dem danse macabre mit der alten Ballerina. Schlomo nahm regen Anteil. Entweder ihm fiel verblüfft die Kinnlade herunter, oder er ließ sich laut lachend rückwärts auf die Strohmatratze fallen. In solchen
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