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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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Augenblicken hatte er sich nicht mehr ganz unter Kontrolle. Das war merkwürdig und anrührend zugleich.
    Ich erzählte ihm auch von Helenas Wiederauferstehung. Er schwieg und strahlte. »Ein Wunder. Wirklich: ein Wunder. Du rettest Menschen!«
    »Das ist leider nicht die ganze Wahrheit, Schlomo. Ich habe jemanden erschlagen. In blinder Wut, nicht einmal aus Notwehr. Er hat einfach nur im falschen Moment etwas Falsches gesagt.«
    Schlomo presste die Lippen zusammen. »Das macht das Lager aus den Menschen«, sagte er bedrückt. »Sogar aus dir, Holländer. Es sei dir vergeben. Das Lager ist schuld.«
    »Ich war das, nicht das Lager. Damit werde ich leben müssen. Gott möge Schlimmeres verhüten.«
    Sein Blick erstarrte. »Nein. Gott hat nichts damit zu tun. Gott sieht uns nicht.«
    Angespanntes Schweigen. So kannte ich Schlomo gar nicht. Er kniff die Augen zusammen. »Schwache, alte Menschen, Holländer, wurden von Hunden zerrissen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Früher habe ich an Gott geglaubt. Immer. Jetzt spucke ich ihm ins Gesicht.« Er drehte den Kopf und spuckte auf den Boden, so als stünde der Herr unsichtbar neben ihm. Mit seinem Ärmel wischte er sich über den Mund.
    »Woran glaubst du dann?«, fragte ich.
    »An den Teufel. Vor ihm habe ich eine Höllenangst.«
    »Aber schenkt Gott nicht Hoffnung?«
    »Mir nicht. Siehst du hier Lagerinsassen beten? Das sind nur sehr, sehr wenige. Kannst du mir erklären, Holländer, warum es so viel Unvollkommenheit gibt, wenn Gott allmächtig ist? Warum existiert das Böse? Warum gibt es Menschen wie die SS -Leute?«
    »Sollte dieses Lager in der Geschichte tatsächlich einzigartig sein?«, fragte ich. »Sind die Deutschen noch barbarischer, als es einst die Sklavenhändler oder Kreuzfahrer waren? Sind sie scheinheiliger als die Inquisition, die Frauen als Hexen auf den Scheiterhaufen verbrannte?«
    »Auch jene Gräuel geschahen im Namen Gottes! Gott mit uns – das steht auf den Gürtelschnallen der Wehrmacht. Davon lassen sie sich leiten!«
    »Aber ist dieses Lager in seinem Wahnsinn nun einzigartig oder nicht?«
    Oben hörte ich eine Geige. Ein Akkordeon stimmte mit ein. Schlomo kratzte sich nervös am Kopf. »Ich würde sagen Ja. Das ist nicht nur Mord, sondern industrieller Massenmord, verübt durch einen Staat! Hat es so etwas vorher schon einmal gegeben?«
    Er musste zurück in seine Baracke. Den Diamanten hatte ich noch nicht vergessen. Konnte ich ihm vertrauen? Schlomo hatte auch dunkle Seiten: Nie hätte ich gedacht, dass er ins Bordell ging. Ich wollte ihn nicht verurteilen, trotzdem … Wie gut kannte ich ihn eigentlich? Der Pole stand auf der Türschwelle meines Zimmers und gähnte.
    »Glaubst du noch an Güte?«, fragte ich.
    Er drehte sich um. »Warum?«
    »Sag schon!«
    »Tja … Das ist keine sehr passende Frage an diesem Ort. Wer überleben will, muss bei all den Gräueln und Erniedrigungen mitmachen. Entweder man gewinnt oder man verliert. Entweder man überlebt oder man stirbt. So wie in der Natur. Nur dass es in der Natur keinen Wahnsinn gibt wie bei den Nazis. Und keinen Humor.«
    »Ich habe einen Diamanten.«
    Er musterte mich stirnrunzelnd.
    »Erinnerst du dich noch an den Mann, von dem ich dir erzählt habe? Der etwas für seine Kinder tun wollte?«
    »Der mit den Zwillingen?«
    »Ja. In seinem Mantelfutter fand ich einen Diamanten. Ich habe ihn versteckt.«
    »Wo?«
    Ich holte tief Luft. »In deiner Baracke. Im Holzpfosten neben meiner Pritsche. Der Diamant steckt in einem Astloch.«
    »Und jetzt soll ich dir den Stein bringen.«
    »Vielleicht bin ich ja naiv, Schlomo, aber ich fühle mich verpflichtet, etwas für die Zwillinge zu tun.«
    Ich rechnete damit, dass er mir das ausreden würde. Nobel. Nicht gut. Aber er nickte nur.
    27
    Der Kommandant kam unangemeldet. Es klopfte zwei Mal, dann ging die Tür auf. Erst zeigten sich zwei Adjutanten oder wie immer sie heißen mochten. Sie postierten sich neben der Tür. Anschließend trat der Obersturmbannführer ein, die Hände auf den Rücken gelegt, sein berüchtigtes Lächeln auf den Lippen.
    »Herr Hoffmann, gefällt es Ihnen hier?«
    »Ja sicher, Herr Obersturmbannführer.«
    »Ich bin neugierig auf Ihre Fortschritte.«
    Ich zeigte auf einen Blätterstapel neben der Schreibmaschine, das Material für zehn, fünfzehn Minuten enthielt. Auf gewagte Witze hatte ich verzichtet.
    Ich bot ihm meinen Stuhl an.
    Er nahm Platz.
    Und las.
    Ich blieb stehen, stand zwar nicht stramm, hielt aber die

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