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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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guten Menschen kennengelernt, der immer für seine Nächsten da war. Und so wollen wir uns auch an ihn erinnern. Ich kann mir vorstellen, wie sehr Ihnen diese Nachricht zu schaffen macht. Viele von Ihnen werden sich darüber austauschen wollen, wie unersetzlich Zbiginiew war und wie es jetzt ohne ihn weitergehen soll. Deshalb möchte ich Ihnen Gelegenheit geben, sich persönlich von Zbiginiew zu verabschieden und seiner Familie zu kondolieren. Er liegt aufgebahrt in seiner Baracke und wird in kleinem Kreis eingeäschert werden. Doch zuerst eine Schweigeminute.«
    Ich fragte mich, wie die Unmenschen wohl darauf reagieren würden. Das war schließlich eine subtile Form der Publikumsbeschimpfung. Eine Schweigeminute wäre fantastisch, nur hielt ich das kaum für machbar. Würden sie wütend werden? Oder laut lachen? Ersteres durfte ich auf keinen Fall riskieren, und so verwarf ich den Sketch lieber.
    Bühnenmeister Henri Toussaint betrachtete das Theater als moralische Anstalt: »Der Mensch mag schlecht sein«, pflegte er zu sagen, »aber er kann sich beherrschen, indem er Verrat, Eifersucht oder Mordlust in einer guten Aufführung von Macbeth oder Elektra auslebt.« Auch Humor betrachtete er als Bollwerk gegen das Böse. Ein Lachen relativiert, es entspannt. Eine schöne Theorie, wie ich fand – wenngleich etwas naiv.
    Im Laufe des Vormittags hörte ich, wie die Musiker ihre Instrumente stimmten. Neben Geigen, Flöten und der Pauke hörte ich auch ein Akkordeon. Neugierig ging ich nach oben. Im Proberaum hatten sich bestimmt dreißig Mann versammelt. Am großen Tisch saßen verschiedene Notenkopisten mit Lineal und Bleistift und zeichneten Notenlinien. Einige tranken Tee. In der Ecke lag eine kaputte Geige. Der Klangkörper war geborsten, der Hals gebrochen.
    »Was machen Sie hier?« Die scharfe Stimme ließ mich vor Schreck zusammenfahren. Es war der Blockälteste, der Mann mit der Hornbrille. Sein Auftreten war barsch und autoritär. Er baute sich drohend vor mir auf. In seiner Hand hielt er keinen gewöhnlichen Stock, sondern einen Taktstock. Eine winzige Bewegung damit reichte, um dem Orchester einen anderen Klang aufzuzwingen.
    »Ich heiße Ernst Hoffmann. Ich wurde hier gestern als Komiker einquartiert.« Ich zeigte auf die gemeuchelte Geige. »Was ist mit dem dazugehörigen Musiker passiert?«
    »Der hat falsch gespielt. Das duldet der Kommandant nicht.«
    »Wenn es ums Falschspielen geht, kann man sich wirklich auf das Urteil der SS verlassen.«
    Ich sah ihm direkt in die Augen. Er mochte über sein Orchester herrschen, aber ich herrschte über volle Säle. Er taute auf, lächelte sogar.
    »Albert Kapinsky.«
    Wir gaben uns die Hand.
    »Wie war die Vorstellung heute Morgen?«, fragte ich.
    »So wie immer. Routine. Die Deutschen lieben Märsche. Pauken und Zimbeln genügen, um den Takt anzugeben – Posaune, Trompete und Klarinette erledigen den Rest. Wir üben gleich weiter. Ich konzentriere mich gerade auf ungarische Stücke: Bartók, Der wunderbare Mandarin. Und Jakob, unser Geiger, spielt Sombre Dimanche. Heute kommt bestimmt wieder ein Transport aus Budapest. Es ist die letzte Musik, die diese Menschen hören werden, und die sollte gut klingen, finden Sie nicht auch?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
    Seine Miene verfinsterte sich. »Einfach ist es nie«, sagte er. »Ich versuche mich so gut wie möglich auf die Musik zu konzentrieren.« Er schwieg kurz. »Manche Musiker kommen nicht damit zurecht. Ein Flötist ist letzte Woche in den Stachel draht gesprungen – seine Leiche musste mit Stöcken wieder heruntergepflückt werden. Wir klammern uns lieber an die Notenlinien, wenn ich das so sagen darf. Jeden Sonntag geben wir ein Konzert für die SS . Dann müssen wir strammstehen.«
    »Wie ist das?«
    »Wir müssen uns vor der SS verantworten: Eine falsche Bewegung, eine falsche Note, und ich nehme ein schlimmes Ende. Nun gut, das bin ich gewöhnt. Als ich noch als Gastdirigent vor verschiedenen europäischen Truppen auftreten durfte, merkte ich schon in den ersten zwanzig Sekunden, ob mich ein Orchester akzeptierte oder nicht. Das ist einfach so. Man kann das natürlich nicht wirklich vergleichen, aber im Grunde ist es dasselbe. Für mich persönlich gilt: Ich mache das nicht für die Deutschen, und eigentlich auch nicht für die Deportierten. Ich mache das für mich. Ich strebe nach Perfektion. Weil ich nicht anders kann.«
    Er drehte sich zu einem Mann mit einer Trompete um. Ein Ventil

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