Das Lachen und der Tod (German Edition)
Schultern gerade und hatte das Kinn leicht gehoben. Dieser Besuch war auch eine militärische Inspektion. Sollte Helenas Leben tatsächlich von meinen humoristischen Fähigkeiten abhängen?
Ohne den Blick vom Blatt abzuwenden, griff der Kommandant zu einem Bleistift in seiner Innentasche. Ich las mit, ohne dass er es merkte. Er strich einen Hitlerwitz, mit dem ich während einer Vorstellung in den Dreißigerjahren großen Erfolg gehabt hatte: Wussten Sie, dass Adolf Hitler Amateurmaler war? Wenn Sie nachher einen Deutschen grüßen, schlage ich vor, dass Sie sagen: Heil Rembrandt! Man wird eine Erklärung verlangen, woraufhin Sie antworten: Ihr habt euren Maler, und wir den unsrigen.
Der also nicht. Zu dumm, das hätte ich mir eigentlich denken können. Ich begann zu schwitzen.
Der Kommandant klopfte mit dem Papierstapel ein paar Mal auf den Tisch, um die Blätter zu ordnen. Reserviert schürzte er die Lippen. »Nicht schlecht, Herr Hoffmann.«
»Danke, Herr Obersturmbannführer.«
»Den Rembrandt-Witz können Sie nicht verwenden.«
»Das verstehe ich, Herr Obersturmbannführer. Es tut mir leid.«
»Sie dürfen sich einiges herausnehmen. Ich weiß die Freiheit der Kunst durchaus zu schätzen. Aber es gibt Grenzen. Ich kann nur hoffen, dass Sie das nächste Mal besser aufpassen. Sie wollen mich doch nicht provozieren?«
»Auf keinen Fall, Herr Obersturmbannführer.«
»Gut. Hoffmann, wir verstehen uns. Ich habe noch einiges mit Ihnen vor. Aber das erzähle ich Ihnen später. Zuerst machen wir eine Probevorstellung: am Sonntagnachmittag in der SS -Kantine.«
»Ganz wie Sie wünschen, Herr Obersturmbannführer.«
»Darüber hinaus habe ich eine Überraschung für Sie.«
Er zeigte auf die Adjutanten. Ein mageres, buckliges Männlein, das sich verschüchtert umsah, wurde hereingeschubst.
»Das ist Grosso«, sagte der Kommandant. »Grosso ist ein Clown. Ich weiß nicht genau, was wir mit ihm anfangen sollen, denn er versteht so gut wie kein Deutsch. Er scheint mit den größten europäischen Zirkusunternehmen unterwegs gewesen zu sein. Der Mann bleibt hier. Vorläufig steht er unter Ihrem Schutz.«
Die Adjutanten trugen ein Holzbett herein. Alles war schon organisiert.
Der Kommandant nickte zufrieden. »Sie dürfen jetzt Ihre Jüdin besuchen.«
In der Besenkammer hing ein penetranter Geruch nach Seife und Bohnerwachs. Ich schloss die Tür so leise wie möglich. Die Glühbirne gab spärliches Licht: Wo ich ging und stand, folgte mir ein Schatten. Helena schlief. Ihr Mund stand halb offen. Ich stand unschlüssig an ihrem Feldbett. Sie lag unter einem Laken und einer muffig riechenden, dunkelgrauen Decke. Ich ging in die Hocke. Ihre Stirn glänzte fiebrig. Sie hatte immer noch hellrosa Flecken. Ich beugte mich vor und atmete mit geschlossenen Augen den Duft ihrer Haut ein, der süß und salzig zugleich war.
Ein Arzt hatte mich, ohne zu murren, ins Krankenrevier gelassen. Er konnte mir auch nur sagen, dass Helena geschwächt, aber stabil war. Sie muss sich erholen, dachte ich mir im Stillen. Vorsichtig strich ich über ihre dunkle Stoppelfrisur. Ich musste sie einfach anfassen, ich konnte nicht anders. Gäbe es diesen Krieg nicht, hätte ich sie vielleicht in einen Badeort mit einer beflaggten Seepromenade eingeladen, um den ganzen Tag in einer Suite mit Zimmerservice und Meeresblick zu verbringen. Stattdessen befand ich mich in Polen, am Arsch der Welt, neben ihrem Feldbett und mit Blick auf einen Zinkeimer und einen verschlissenen Putzlumpen.
War Helena eine Flucht? Eine amour fou? Entsprang die Zuneigung eher meinem Kopf als meinem Herzen? Ich konnte das einfach nicht glauben. Ich wollte das einfach nicht glauben.
Bislang hatte ich nie viel Glück mit Frauen gehabt. Für mich war nicht die Liebe, sondern Humor die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen. Ein Lacher im richtigen Moment ist ein Zeichen von Intelligenz. Für eine Frau, für meine Frau betrachtete ich das als unerlässlich. Aber jetzt mit Helena war alles anders. Sie hatte das schönste Lächeln überhaupt, doch solche Überlegungen waren mittlerweile nebensächlich. Humor stand jetzt an zweiter Stelle.
Ich küsste sie auf die Schläfe.
»Ernst«, murmelte sie und döste wieder ein.
Auch Grosso schlief. Er hatte die Rosshaardecke so hoch gezogen, dass seine weißen, schmuddeligen Füße darunter hervorlugten. Einen Clown kann man nicht spielen, Clown muss man sein. Man wird so geboren. Es ist ein besonderer Menschenschlag, der sich wie
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