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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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man noch einen brutalen Stoß. Strauchelnd griff er nach seinem Geigenkasten und floh in die Küche.
    Jetzt war ich an der Reihe.
    Meine Vorbereitungen konnte ich vergessen. Ich musste improvisieren. Ich trat gelassen und würdevoll nach vorn, mit geradem Rücken und selbstbewusstem Blick. Ich durfte kein bisschen Angst zeigen, Hunde wittern Angst. Ich stand vor meinem Publikum und schwieg. Schließlich war ich nicht ihretwegen hier: Sie kamen meinetwegen.
    Der Lärm verebbte langsam.
    Hinten im Saal entdeckte ich einen leeren Stuhl. Auf dem saß mein Vater, ebenfalls Deutscher, ebenfalls Soldat, wenn auch in einem anderen Krieg. Ich sah ihn dort sitzen. Er starrte hinaus.
    »Ich bin Nationalsozialist, und ich hasse alle Juden und Bolschewiken!« Ich legte eine Pause ein, nur eine kurze, damit niemand die Chance habe, mich zu unterbrechen. »Das hat neulich ein Kapo zu mir gesagt.« Ich setzte meinen finstersten Blick auf. »Daraufhin ich zu ihm: ›Ach ja? Ich bin Ernst Hoffmann und hasse alle!‹« Rasch murmelte ich noch hinterher: »›Du bescheuerter Depp, du!‹«
    Ein lauter Lacher ertönte. Einer derjenigen, die an die Ostfront mussten, verschluckte sich an seinem Bier. Ich zeigte auf ihn. »Sie kämpfen gegen die Russen? Sie wissen schon, dass die hoffnungslos desorganisiert sind? Ich habe von einem Rote-Armee-Rekruten gehört, der zwei verschiedenfarbige Schuhe getragen hat. Einer war schwarz, der andere hellbraun. Ein Major hielt ihn auf und sagte: ›Soldat, das ist eine Schande! Geh sofort nach Hause und wechsle die Schuhe!‹ Daraufhin der Rekrut: ›Das hat keinen Sinn, Kameradski-Major. Zu Hause liegt genau dasselbe Paar wie das, das ich jetzt trage.‹«
    Wieder eine Lachsalve. Viel zu übertrieben, doch mir war das egal. Es herrschte jene Art von Spannung, die an der Was seroberfläche eine Nadel schwimmen lässt. Sie durfte auf kei nen Fall sinken.
    »Das reinste Chaos, wirklich. Das liegt natürlich auch an dem politischen System. Stellen Sie sich vor, die Wüste würde kommunistisch. Was passiert dann Ihrer Meinung nach?«
    Die Zuhörer sahen mich amüsiert an.
    »Nichts. Aber glauben Sie mir: Innerhalb kürzester Zeit wird plötzlich der Sand knapp.«
    Ich ließ zu, dass sie sich wieder austobten. Als das Lachen leiser wurde, fuhr ich fort. »Die Rasse lässt sich eben nicht verleugnen, nicht wahr?«
    Laute Zustimmung.
    »Ich war mal auf einer Textilhändlerkonferenz, lange vor dem Krieg. Ich trank Kaffee mit einem Deutschen, einem Franzosen und mit einem Russen. Eine Fliege summte die ganze Zeit um uns herum. Sie setzte sich auf den Rand der Tasse des Deutschen. Und was tat der Mann? Er schob die Tasse zur Seite. »Nicht sauber!« Die Fliege tauchte in die Tasse des Franzosen. Der fischte sie an einem Flügel heraus und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Pas de problème. Hinkend erreichte die Fliege die Tasse des Russen. Was glauben Sie, ist passiert?«
    Ich erhöhte die Spannung.
    Rührte in einer imaginären Tasse Kaffee. Ließ meinen Blick an der Tasse vorbeischweifen, sah wieder hin und kniff die Augen zusammen. Langsam hörte ich auf zu rühren. Ich hielt Daumen und Zeigefinger über den Kaffee und packte rasch die imaginäre Fliege. Verstohlen sah ich mich nach allen Seiten um, fuhr mir mit der Zunge über die Oberlippe und steckte mir die Fliege rasch in den Mund.
    Große Heiterkeit. Und Ekel.
    Ich starrte in die Ferne und schmatzte mehrmals.
    »Und du?«, rief ein angetrunkener SS -Mann direkt vor mir. »Bei dir gibt es doch viel mehr Fliegen? Was hast du getan?«
    Ich hörte abrupt zu kauen auf. »Ich? Was ich getan habe?«
    Der Deutsche sah sich Beifall heischend um. »Ja! Du!«
    Ich hielt die Hand hoch und spreizte die Finger. »Fünf. Ich habe fünf gefangen. Und die habe ich dann alle dem Russen verkauft.«
    Das brüllende Gelächter war bestimmt bis weit ins Lager hinein zu hören. Was mir Gelegenheit gab, noch einen draufzusetzen. Ich durfte nicht nachlassen.
    »Gefällt Ihnen das? Ich wollte eigentlich Clown werden, nur konnte ich keine roten Knollennasen in meiner Größe auftreiben.«
    Ich spürte, dass ich mein Publikum fest im Griff hatte.
    »Das hat allerdings den Vorteil, dass ich unter der Dusche rauchen kann.«
    »Ja, denn aus unseren Duschen kommt nämlich kein Wasser«, rief der SS -Mann fröhlich. Normalerweise stellte ich solche Spaßvögel bloß, was hier leider nicht möglich war.
    »Juden sind außerdem äußerst schlagfertig«, fuhr ich fort. »Neulich kam

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