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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
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das Wort, und sofort waren alle Kinder mucksmäuschenstill. Liebenswürdig gratulierte er den Jungen zu ihrem neunten Geburtstag. »Mit diesen beiden Wild fängen hat es meine Lise nicht immer leicht«, sagte er lachend. Die Frau des Kommandanten errötete verlegen. »Und doch wage ich zu behaupten, dass unser Führer stolz auf diese Söhne des Dritten Reichs sein kann!«
    Applaus.
    »Ganz im Sinne unserer Familientradition, in der Ehre und Treue hochgehalten werden, möchte ich sie auf eine glanzvolle Zukunft vorbereiten. Auf eine heldenhafte Zukunft!«
    Die Anwesenden hoben das Glas. »Heil Hitler! Prost!«
    Manfred und Helmut bekamen je ein Holzgewehr, worüber sie vor Freude kreischten. Die Spielzeuggewehre waren Repliken eines echten Gewehrs, besaßen einen lackierten Kolben, schmiedeeiserne Gewehrschlösser und einen richtigen Lauf. Wie lange die Schreiner im Lager wohl daran gearbeitet hatten?
    Das Ensemble begann die Tritsch-Tratsch-Polka von Johann Strauss zu spielen. Ich stand zwischen verschiedenen Offiziersgrüppchen, die mit einem Getränk in der Hand über die Ostfront und das Leben in Polen sprachen.
    »Ich nehme nur Zeugen Jehovas fürs Personal«, hörte ich einen Mann um die fünfzig mit Nachdruck sagen. »Einem Juden oder einem Polen kann man einfach nicht vertrauen. Solche Leute lasse ich nicht in die Nähe meiner Familie. Die Zeugen Jehovas sind grundsätzlich gegen Gewalt. Sie würden niemandem auch nur ein Haar krümmen. Sie müssen lediglich ein Formular unterschreiben, mit dem sie sich von ihrem Glauben lossagen. Anschließend dürfen sie das Lager als freie Menschen verlassen. Aber sie tun es nicht! Das respektiere ich. An ihnen können wir uns ruhig ein Beispiel nehmen. Ihre Loyalität Gott gegenüber ist das Vorbild für unsere Führertreue.«
    Mir wurde übel. Hastig ging ich ins Haus und fragte nach der Toilette. Ich schloss von innen ab, kniete mich vor die Schüssel und steckte mir den Mittelfinger in den Hals. Ich würgte so leise wie möglich. Gelber Brei mit Rosinen. Ich erbrach mich zweimal, wusch mir die Hände und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
    Ich klopfte mir zur Kontrolle auf die Tasche, ob ich wirklich alle meine Zauberutensilien dabeihatte. Lange Vorbereitungen waren nicht nötig gewesen. Ich hatte den Kommandant bloß um ein Kartenspiel, einige Münzen und drei Seile gebeten und alles noch am selben Tag er halten. Manche Tricks gingen mir nicht mehr so flott von der Hand, doch nach ein paar Tagen Training fand ich zu meiner früheren Geschicklichkeit zurück. Dieser Auftritt würde mir auch psychisch nicht viel abverlangen, denn er war mit keinem moralischen Dilemma verbunden. Welch eine Wohltat!
    Die Kinder saßen im Halbkreis vor mir auf dem Rasen. Ich forderte Manfred auf, eine Karte zu ziehen. Helmut durfte vorher mischen. Manfred steckte die Karte zurück in den Stapel, und ich zog die richtige Karte hervor. Ich zauberte eine Reichsmark aus Manfreds linkem Ohr und noch eine aus Helmuts rechtem. Anschließend warf ich die Münzen in die Luft – und wie durch ein Wunder waren sie verschwunden. Schräg vor mir schauten zwei Väter mir zu. »Ach wäre das schön, wenn er alle Juden wegzaubern könnte«, hörte ich den einen sagen. »Danach erschießen wir ihn, die Juden wären für immer verschwunden, und wir könnten endlich wieder nach Hause.« Sie lachten laut.
    Nach zwanzig Minuten übernahm Grosso. Ich versprach, am späteren Nachmittag weitere Tricks vorzuführen. Grosso lief sofort durch die Reihen der Kinder. Ich sah ihm bewundernd zu. Homo ludens , der spielende Mensch. Er war ganz in seinem Element.
    »Wir sehen uns oben. Jetzt gleich.«
    Was mochte Helena, die mir im Vorübergehen diese Worte zuflüsterte, von mir wollen? Grosso jonglierte gerade mitten im Garten mit drei Tennisbällen, und so wartete ich noch einigen Minuten, bis ich mich langsam rückwärtsbewegte. Ich betrat das Haus, durchquerte die Küche. Auf der Anrichte stand ein Glas mit einem Rest Rotwein. Ich schüttete ihn über mein weißes Hemd. Sollte ich ertappt werden, sei es nun unten oder oben, suchte ich eben das Bad.
    Die Treppe befand sich im Flur. So rasch und leise wie möglich lief ich nach oben. Helena stand auf dem Treppenabsatz. Sie nahm meine Hand und zog mich in ihr Zimmer, das nach vorne hinausging. Darin standen ein Schrank aus Eichenholz, ein Stuhl und ein eisernes Bettgestell mit einer dunkelvioletten Decke. Draußen spielte das Orchester den Radetzkymarsch.
    Sie nahm

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