Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pieter Webeling
Vom Netzwerk:
meinen Kopf in beide Hände und küsste mich. Fieberhaft begann ich, ihre Bluse aufzuknöpfen. Sie zog sogar ihr Unterhemd aus. Ich legte meine Hand auf ihren Rücken, auf ihre glatte Haut, bis ich eine Kruste spürte. Striemen. Sie fing meinen Blick auf. Wir musterten uns kurz, lächelten und hoben uns die Fragen für später auf. Ich saugte an ihrer Unterlippe, küsste ihre Mundwinkel, leckte mit der Zungenspitze ihren Gaumen, bis sie kicherte.
    Das musste vorerst genügen.
    Wir lagen dicht nebeneinander. Ich starrte an die Decke. Sie wandte mir den Kopf zu. »Stell dir vor, wir verlieren uns bald aus den Augen. Nach der Befreiung, meine ich. Wie finde ich dich dann wieder?«
    »Johannes Verhulststraat 465, Amsterdam.«
    »Und wenn du aus irgendeinem Grund nicht dort bist?«
    Ich sah sie an. »Dann findest du mich im Theater.«
    Sie lächelte. »Gut. Wo?«
    » Theater aan de Amstel. Genau ein Jahr nach der Befreiung aus diesem Lager. Ich trete auf, extra für dich. Sieh zu, dass du da bist.«
    34
    An einem schwülen Spätsommertag hörte ich die Moonlight Serenade . Für die Deutschen war das Negermusik, also verboten. Und trotzdem hörte ich sie, durch das offene Fenster meines Zimmers: leise Klänge im unverkennbaren Swingrhythmus. Und zwar nach den Orchesterproben. Wer spielte da?
    Grosso war nicht da, er ging seine eigenen Wege. Während des Morgenappells schien er im Stehen zu schlafen – ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich wäre. Nach dem Abzählen stolperte er wie ein Schlafwandler zurück ins Bett und schnarchte weiter. Meist behielt er die Jacke noch an und schlief bis weit in den Vormittag hinein. Erst dann kam so etwas wie Leben in ihn. Entweder er streunte durch die Baracke oder hörte verträumt seinen Freunden, den Musikern, zu. Oder aber er tröstete und bespaßte mit seinen Kapriolen seine Freundinnen aus dem Bordell. Die Mädchen verhätschelten ihn wie einen kleinen Bruder.
    Ich ging nach oben. Auf der Treppe war ich mir sicher: das war Musik von Glenn Miller. Die Haustür stand offen. Ich sah einen Mann, der scheinbar lässig eine Zigarette rauchte. Und aus dem Flur huschte jemand wie ein Schatten in den Proberaum. Die Jazzmusik verklang, und ich lief ihm nach – ich wollte es genau wissen. Im großen Musiksaal saßen Grosso und sechs Musiker im Kreis, zusammen mit zwei SS -Männern und einem weiblichen Kapo. Ich kannte die Frau. Es war Irma, Helenas Beschützerin.
    »Ernst!«, sagte der Cellist erleichtert. »Unser Komiker.«
    »Ernest«, sagte Grosso nachdrücklich. »Ernest gut.«
    Ich lachte. »Jazzfans! Ja, ihr traut euch was!«
    »Jeden letzten Freitag im Monat nach der großen Probe«, sagte der Cellist, ein junger Pole, der Wlodymierz hieß und Wlody genannt wurde. »Magst du Jazz?«
    »Ob ich Jazz mag? Ist der Papst katholisch? Roll ’em! «
    Die Musiker grinsten und sahen sich an. Wlody holte tief Luft. A one, a two, a one two three four – das Cello, die Trompete, die Klarinette und das Schlagzeug stimmten mit ein. Roll ’em war mein Lieblingssong von Benny Goodman. Das waren auch die ersten englischen Worte, die ich seit meiner Ankunft im Lager hörte. Auf einem Tisch standen eine Flasche Schnaps und ein paar leere und halb gefüllte Gläser. Grosso verbeugte sich vor der Frau und bot ihr seinen Arm an. Sie willigte lachend ein. Sie begannen zu swingen, der Clown und der weibliche Kapo.
    Die SS -Männer, beide um die dreißig, gaben mir einen festen Händedruck, was mich noch mehr erstaunte. Sie stellten sich als Werner und Joachim vor. Werner hatte gewelltes, grau meliertes Haar, ein schmales, langes Gesicht und graue Augen. Joachim war kahl, und eine beeindruckend große Narbe verlief von seinem linken Auge zu seinem linken Mundwinkel. Ich starrte in sein entstelltes Gesicht wie in die Flammen eines Lagerfeuers. Es entging ihm nicht. »Eine Granate«, rief er über die Musik hinweg. »Stalingrad.« Als er sich erhob, erkannte ich, dass seine linke Hand verstümmelt war.
    Er beugte sich zu mir. »Ich habe Ihren Auftritt in der Kantine gesehen. Das war gut. Sehr gut.«
    Ich lächelte und blieb reserviert. Ein guter SS -Mann war für mich so etwas wie ein vegetarischer Metzger.
    Irma war müde vom Tanzen. Nach einem Handkuss von Grosso gesellte sie sich wieder zu der Gruppe. »Wie geht es Helena?«, fragte sie.
    »Sie ist jetzt Kindermädchen beim Kommandanten«, sagte ich.
    »Ah, sehr gut. Das freut mich. Sie ist sehr mutig.« Sie nippte an ihrem Schnaps und wischte

Weitere Kostenlose Bücher