Das Lachen und der Tod (German Edition)
einem roten Band geschmücktes Hitlerporträt aufgehängt. Hinter den Kulissen war es zum Glück noch relativ ruhig. Die Garderobe sah genauso nüchtern aus wie in den letzten Wochen. Grosso saß breitbeinig auf einem Hocker und gähnte. Bald würden die Musiker eintreffen, und dann wäre es mit der Ruhe vorbei. Ich beschloss, mich auf meine Aufführung zu konzentrieren, obwohl ich die Reihenfolge der Witze auswendig wusste. Ob Helena heute Abend ebenfalls im Saal saß?
Meine Tür ließ ich offen. Zwei SS -Leute standen im Flur und unterhielten sich. Ich achtete nicht auf ihr Gespräch, bis das Wort Fernglas fiel. »Sie haben sich regelrecht darum geprügelt«, sagte der eine. »Erst Reichsführer Himmler, anschließend SS -Obersturmbannführer Eichmann. Sie haben bis zum Schluss zugeschaut und waren schwer beeindruckt von der Effizienz. Zehn Minuten. Danach war es still.«
»Zehn Minuten?«, sagte der andere erstaunt.
»Ja, ja, der SS -Obersturmbannführer hat ständig auf die Uhr gesehen. Was er jedoch nicht wusste: Wegen des hohen Besuchs haben wir auf Befehl des Kommandanten hin nicht mit Gas gegeizt. Ich glaube, wir haben doppelt so viele Dosen verwendet wie sonst. Deshalb ist jetzt das Zyklon B in Krematorium III knapp, und die Juden aus dem ungarischen Transport, der kürzlich ankam, haben noch mal Glück gehabt. Im Ernst, zehn Minuten! Vor allem Eichmann war sehr zufrieden. Ganz human, hat er mehrmals gesagt.«
Himmler also. Den Namen Eichmann hörte ich zum ersten Mal.
Ich sah in den Spiegel und stutzte mit einer Schere meine Koteletten. Ich hatte mich mit meinem Lagerleben arrangiert. Es war eine Torheit, zur Herde gehören zu wollen. Die Herde war die Masse, und die Masse starb. Man musste sich unterscheiden. Nützlich sein. Ein Bleigießer, Zimmermann, Elektriker, Arzt oder Uhrmacher hatten Glück. Ein Komiker auch.
Auf einmal hörte ich lautes Schreien und Fluchen. Grosso war verschwunden. Ich lief in den Flur und sah, wie der Clown strauchelnd, die Hände schützend vors Gesicht geschlagen, aus der Requisitenkammer geprügelt wurde.
»Verdammter Scheißclown!«, rief ein wütender SS -Mann mit hochrotem Kopf. Im Halbdunkel hinter ihm erkannte ich stapelweise militärgrüne Kisten und Dosen. Er knallte die Tür zu und schloss ab.
»Was ist los?«, fragte ich so ruhig wie möglich.
»Der Zutritt zu diesem Raum ist verboten«, sagte er verbissen. »Verstanden? Strengstens verboten!«
Ich hob beschwichtigend die Hände. »Ist ja gut.«
»Wo ist er hin?«
Ich schaute mich um. Der Gang war leer. Der SS -Mann stieß mich wutschnaubend zur Seite. Hastig sah er sich in der Garderobe um. Grosso war verschwunden.
»Er ist der Clown und muss gleich auftreten«, erklärte ich. »Befehl vom Kommandanten. Machen Sie sich keine Sorgen, Grosso weiß nichts und vergisst alles. Er tut keiner Fliege etwas zuleide. Wir werden dieses Missverständnis mit keinem Wort erwähnen.«
»Hans!«, rief der andere SS -Mann aus dem Flur. »Komm! Wir sind schon spät dran. Die warten auf uns.«
Er zögerte.
»Bleiben Sie hier weg!«, sagte er böse. »Verstanden?«
»Verstanden.«
Mit forschen, eiligen Schritten lief er zur Rückseite des Gebäudes. Kurz darauf sah ich aus dem Garderobenfenster, wie der Rote-Kreuz-Laster davonfuhr.
Ich brauchte bestimmt eine halbe Stunde, bis ich Grosso in dem Gebäude wiedergefunden hatte. Er saß zitternd auf der Damentoilette. Das Licht war aus. Er hatte ein paar hef tige Ohrfeigen bekommen und sich erschrocken wie ein Kind. Ich brachte ihn zurück in die Garderobe. Dort setzte er sich auf einen Hocker und starrte ausdruckslos vor sich hin. Ich versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Du, Grosso!«
»Ja, Grosso.«
»Du trittst auf. Ha-ha-ha.«
»Ja«, sagte er geistesabwesend. »Ha-ha-ha.«
»Nein, nein!« Ich stampfte mit den Füßen auf, raufte mir gespielt die Haare und drehte nervös meine Runden, als wäre ich sein Zwillingsbruder.
»Du Grosso, du spielen!«
Auf einmal begann er zu strahlen. »Grosso spielen, ja!«
Im Saal standen auf beiden Seiten der Stuhlreihen Schwarz hemden mit Karabinern. Sie starrten vor sich hin. Von mei ner Position am Rand der Bühne konnte ich die Musiker, die sich gerade einspielten, gut erkennen. Jakob inspizierte seinen Bogen, der Perkussionist spannte eine Trommel, der Dirigent beriet sich mit den Streichern.
Der Saal füllte sich. Die Gäste saßen neben dem Kommandanten in der ersten Reihe. Der Suchscheinwerfer war bereits
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