Das Lachen und der Tod (German Edition)
eingeschaltet. Ich starrte in den Lichtkegel: Der Mann mit der Nickelbrille war unverkennbar Heinrich Himmler. Hinter ihm nahmen die Lageroffiziere Platz. Die Frau des Kommandanten war ebenfalls anwesend, in einem beigen Mantel und mit einer weißen Lederhandtasche am Arm. Sie suchte nach einem Platz in der vierten Reihe. Helena war bei ihr. Sie sagte etwas zu den Zwillingen, deren Haar rechts gescheitelt waren und die rechts einen karierten Anzug und eine Krawatte trugen.
Ich konnte sehen, dass das SS -Gefolge um Himmler und Eichmann nervös war. Die Offiziere und Ehefrauen starrten immer wieder auf den Rücken des Reichsführers. Ich musste an das Teatro San Carlo in Neapel denken, ein prächtiger Kunsttempel, in dem ich vor langer Zeit gastiert hatte. Dort hatten alle Logen einen Spiegel, der auf die Königsloge gerichtet war. Lachte der König, durften das seine Untertanen auch.
Im Saal trat Stille ein. Jemand hustete, so wie sich das in einem Konzertsaal gehört. Albert Kapinsky konnte anfan gen. Er verbeugte sich, drehte sich einmal um sich selbst und hob den Taktstock. Rosen aus dem Süden . Grosso setzte sich neben mich. In all den Wochen hatten wir uns angefreundet. Er grinste und legte seinen Kopf auf meine Schulter.
Albert Kapinsky begann mit Johann Strauss und hörte mit Johann Strauss auf. Auf den Schlussakkord von Morgenblätter folgte ein schwacher Applaus. Der Dirigent verbeugte sich und teilte sich das sparsame Lob mit seinen Orchestermitgliedern. Der Theatervorhang schloss sich. Im Saal erhob sich Gemurmel.
Ein Bühnenarbeiter hängte ein Mikrofon an einen Ständer.
Ich wartete noch kurz.
Dann eilte ich auf die Bühne. »Guten Nachmittag, meine Damen und Herren. Ich heiße Ernst Hoffmann. Ernst ist kein logischer Vorname für einen Komiker, aber ohne Ernst keinen Humor, sage ich immer.«
Ich ließ eine kurze Pause entstehen. Wohlwollende Gesichter. Hier und da ein Lächeln.
»Schön, dass Sie hier sind!«
Ich konnte es einfach nicht lassen. Das war für Helena bestimmt. Ich sah in ihre Richtung – doch leider vermochte ich sie im grellen Scheinwerferlicht nicht zu erkennen.
»Ist es nicht etwas ganz Besonderes, dass wir hier in die sem herrlichen Theater zusammengekommen sind?« Ich hatte all meinen Charme aufgewendet. »Das hier ist ein Tempel der Illusion. Ein Tempel der Schönheit. In diesen chaotischen Zeiten sollte man sich erst recht auf das Positive konzentrieren, finden Sie nicht auch?«
Ich wartete kurz. Zustimmendes Nicken, vor allem aufseiten der Frauen.
»Eine positive Grundeinstellung kann sehr hilfreich sein«, wiederholte ich. »Erlauben Sie, dass ich Ihnen die Geschichte von Janos, einem polnischen Häftling, der seiner Frau einen Brief schrieb, erzähle. ›Liebste‹, schrieb er, ›mach dir um mich keine Sorgen. Alles ist bestens organisiert. Im Lager bekomme ich um sieben Uhr Frühstück ans Bett. Vom Frühstückskommando.‹«
Ich hatte meinen ersten Lacher.
»›Dann arbeiten wir ein bisschen. Mittags bekommen wir Brot mit Käse, Schinken, Marmelade und Waldfruchtgelee – gestern war es Erdbeermarmelade –, dann heißt es zwei Stündchen schlafen und wieder kurz arbeiten. Nach einem köstlichen Abendessen, das aus einem halben Huhn, Rotkohl und Ofenkartoffeln besteht und von den besten Köchen zubereitet wurde, gehen wir ins Theater oder ins Kino. Es gibt auch ein beheiztes Schwimmbad und eine Bücherei.‹«
Heitere Unruhe machte sich breit.
»Eine Woche später«, fuhr ich fort, »schrieb Janos’ Frau zurück: ›Liebster, das klingt ja fantastisch. Aber komisch ist das schon, denn ich habe mit meinem Neffen Karl gesprochen, der ebenfalls im Lager war. Und der behauptet das genaue Gegenteil!‹
›Ja‹, schrieb Janos zurück, ›das hätte er lieber lassen sollen. Jetzt haben sie ihn wieder ins Lager gesteckt.‹«
Lautes Gelächter. Himmler lächelte gönnerhaft.
Ich hatte vorgehabt, den Schlemihl zu spielen. Aber es war mir zuwider. Ich wollte nicht so tief sinken und Witze über Juden und Nasen reißen. Mein Maßstab war Helena.
»Liebe Leute, lasst uns doch netter zueinander sein! Neulich sprach ich mit einem Kapo über das Essen. ›Kapo‹, sagte ich, ›das ist mit Abstand die köstlichste Kohlsuppe, die ich seit Langem gegessen habe. Haben Sie zufällig das Rezept?‹ Da hat er mich fast aus der Baracke geprügelt!« Ich schüttelte traurig den Kopf. »Immer diese Missverständnisse! In den letzten Tagen wurden überall im Lager Blumenkästen
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