Das Laecheln der Chimaere
Foyer bis ins letzte Detail wiederzugeben, damit er begriff, was sie so stutzig und neugierig gemacht hatte. Kolosow unterbrach sie nicht und stellte ihr keine einzige Frage. Dieses dumpfe, fast gleichgültige Schweigen beunruhigte Katja.
»Mir scheint, das Benehmen Marina Saljutowas verlangt eine Erklärung«, fasste sie zusammen. »Diese beiden Umstände – dass sie im Gespräch mit mir von einem › Ehemann ‹ gesprochen hat, aber damit offensichtlich nicht den verstorbenen Igor meinte, und diese seltsame Szene im Foyer des Fitness-Centers mit ihrem Schwiegervater . . . Du selber hast auch mal erwähnt, dass ihr Benehmen dir ungewöhnlich vorkommt. Ich wollte dich fragen, an was du dabei konkret gedacht hast?«
Er schien wie aus tiefen Gedanken aufzuwachen.
»An die Aussagen des früheren Kasino-Portiers Peskow. Er hat berichtet, ein Besucher habe in der Toilette die Leiche entdeckt und zunächst sei nicht klar gewesen, um wen es sich handelte. Anfangs sei das Gerücht umgegangen, in der Toilette habe sich jemand erschossen. Und laut Peskow hat diese Nachricht Marina einen schweren Schock versetzt. Sie sei völlig außer sich ins Vestibül gestürzt. Als sich dann herausgestellt habe, dass es gar kein Selbstmord war, dass ein Angestellter des Kasinos ermordet worden war, habe sie sich sofort beruhigt.«
»Was hat sie selbst denn eigentlich an jenem Abend im › Roten Mohn ‹ getan?«
»Die ganze Familie hatte sich dort versammelt. Es war der vierzigste Todestag des ältesten Sohnes. Eine Gedenkfeier.«
»Ein seltsamer Ort für eine Gedenkfeier – ein Spielkasino.« Katja zuckte die Achseln. »Ich glaube, Nikita, du solltest Marina Saljutowa verhören. Im Grunde wissen wir doch bis jetzt nicht, was das für eine Familie ist, was dort vor sich geht. Wie leben sie überhaupt, diese reichen, wohl versorgten Angehörigen des Kasino-Besitzers? Ich glaube . . .«
»Und ich glaube, der Zug ist abgefahren, Katja.«
Sie schaute ihn verständnislos an.
»Das Kasino ist am Ende. Ruiniert.«
Kolossow holte aus der Schreibtischschublade einen Packen frischer, gerade erst ausgedruckter Fotografien und legte sie auf den Tisch: ein Straßenrand, offenbar an einer Chaussee, beleuchtet von den Scheinwerfern der Patrouillenfahrzeuge, hohe Schneewehen, zwei deutliche Reihen von Fußspuren im tiefen Schnee und ein auf dem Boden liegender Mann in Tarnhose und Motorradjacke. Die erste Aufnahme zeigte den Mann in der Stellung, in der man ihn gefunden hatte – auf dem Bauch liegend, das Gesicht im Schnee vergraben. Die zweite Aufnahme zeigte den Körper umgedreht, während der Untersuchung. Man sah, dass die Arme des Toten vorn mit einem Strick gefesselt waren und sein Gesicht völlig zerschlagen war. In der linken Schläfe hatte er eine Schusswunde, auf der Haut und dem kurz geschnittenen blonden Haar sah man verkrustetes Blut. Die dritte Aufnahme zeigte das Gesicht des Toten in Großaufnahme. Katja zuckte entsetzt zusammen: Sie kannte den Mann. Allerdings hatte sie ihn nur einmal gesehen – in der Bar mit dem nach Schokolade und Kuba klingenden Namen »Cayo Coco«. Sie hatte ihm sogar ihre Telefonnummer gegeben.
»Mein Gott«, flüsterte sie, »das . . . das ist er ja. Wie kann das sein? Warum?«
»Weil so alle Enden abgeschnitten und alle Spuren verwischt sind.« Kolossow bewegte die Finger wie eine Schere. »Die klassische Mafia-Methode bei internen Abrechnungen.«
»Was für Abrechnungen? Aber warum gerade er?«
Erst jetzt dämmerte es Nikita, dass sie ja noch gar nichts wusste. Nichts von dem, was ihn und Obuchow in den letzten vierundzwanzig Stunden beschäftigt hatte. Sie wusste auch nicht, dass alle Schlussfolgerungen, Mutmaßungen, Fallen und Festnahmen zu spät gekommen waren. Mit dem Tod des Legionärs, dem Tod des Maulwurfs, war man ihnen zuvorgekommen und hatte mit einem Schlag alle Enden in diesem Fall gekappt. Clever und routiniert, so wie es bei großen Abrechnungen großer Leute zu sein pflegt, wo ein fremdes Leben nichts zählt, wo alle Toten nur Bauernopfer sind.
Ja, Gleb Kitajew hatte sich besonnen und ihm und Obuchow doch noch die Adresse der von Philipp und dem Legionär gemieteten Wohnung gegeben. Kolossow wusste diese Adresse auswendig: Pjatnizkaja-Straße 37, Wohnung 8. Sofort war er zusammen mit dem Einsatzkommando dorthin aufgebrochen. Eine andere Einsatzgruppe fuhr inzwischen zu der Bar in der Suworow-Straße. Zwei weitere Kommandos bewachten die Wohnung von Shanna Basmanjuk in Krylatskoje
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