Das Laecheln der Chimaere
Losungen, Banner, Plakate. Fiebrige Ansprachen selbsternannter Redner, eine erregte, herandrängende Menge. Und ein Stück weiter auf derselben Straße – schweigsame, reglose Reihen uniformierter Männer: tief in die Stirn gezogene Helme mit Plastikvisieren, Gummiknüppel, Stahlschilde. Ein lautes, scharfes Kommando, und die Reihen setzen sich in Bewegung. Noch ein Kommando, und Hunderte von Gummiknüppeln schlagen dumpf, wuchtig, drohend an die Schilde. Wie in den Historienfilmen über das antike Rom – die gleichen Soldaten, der gleiche schwere, gemessene Schritt nägelbeschlagener Schuhe. Die gleichen dumpfen Schläge gegen die Schilde – jedoch mit Schwertern. Auf der Leinwand ist es die eiserne Legion, die angreift. Und hier die Spezialeinheit »Strahl«, die die Menge auseinanderknüppelt. . .
»Hat er in Tschetschenien gekämpft?«, fragte Kolossow.
»Er ist niemals dort gewesen. Dazu ist es nicht mehr gekommen, weil er verurteilt wurde«, antwortete Obuchow. »Ich nehme an, du hast schon erraten, um wen es sich handelt. Im Kasino kannten ihn alle nur unter seinem Spitznamen. Den wahren Namen hat er geheim gehalten. Und dafür hatte er seine Gründe.«
»Welche?«
»Weißt du, wie ich . . . wie wir festgestellt haben, um wessen Fingerabdrücke es sich handelt? Wir haben alle Materialien über die letzten Haftstrafen von Milowadse herausgekramt. Haben seine Kontakte überprüft, mit wem zusammen er gesessen hat, wo er seine letzte Strafe verbüßt hat. Wie sich herausstellte, war das in der Anstalt 165/84 bei Archangelsk – und zwar zusammen mit Djakow. Hätten wir dieses Material früher gekannt, dann hätten wir ihn sofort nach dem Mord an Teterin verhaftet. Aber leider wussten wir davon nichts«, sagte Obuchow. »Damals, am fünften Januar, hat er offensichtlich alles getan, um einer Ausweiskontrolle zu entgehen. Man muss schon sagen, ein geschickter Schachzug von Chwantschkara, seinen Maulwurf direkt in Saljutows Familie einzuschleusen. He, Kollege, du sagst ja gar nichts mehr? Hast du irgendeine Idee? Wir müssen diesen Maulwurf in die Finger bekommen, und zwar möglichst schnell. Vielleicht kann diese Basmanjuk, die Halterin des Wagens, uns etwas dazu . . .«
»Sie ist seine Geliebte«, sagte Kolossow. »Sie wird uns überhaupt nichts über ihn erzählen. Aber ich weiß, wer uns verraten kann, wo wir den Legionär zu suchen haben.«
»Meinst du Philipp Saljutow?«, brummte Obuchow misstrauisch. »Der doch wohl kaum, die beiden sind ja eng befreundet. Außerdem müsste man den erst mal selbst finden.«
»Nein, nicht Philipp. Den müssten wir lange bearbeiten, bevor er anfängt zu reden. Ich meine Kitajew. Er kann uns die Adresse sagen: Ich erinnere mich, dass er mir von einer Wohnung erzählt hat, die Philipp zusammen mit diesem Djakow gemietet hat. . .«
. . . Das dumpfe Getrappel von Lederschuhen. Gummiknüppel, die gegen Schilde schlagen. Tief in die Stirn gezogene Helme. Plastikvisiere, so weit heruntergelassen, dass man keine Gesichter mehr sieht. Eine stählerne Formation, die auf ihrem Marsch alles hinwegfegt. Eine Legion, in der sich der einzelne Soldat hinter seinem Schild und seinem Visier nicht mehr als Mensch fühlt – nur als Legionär . . .
»Na, dann her mit Kitajew, soll er die Adresse dieser Wohnung rausrücken. Wir legen uns dort und an allen anderen Orten, an denen er auftauchen könnte, auf die Lauer.«
29
»Weißt du, Wadim, du hattest Recht«, sagte Katja zu Krawtschenko, als sie nach Hause fuhren. Den Anruf Kolossows hatte sie nicht mehr abgewartet. Anstelle des Chefs der Mordkommission hatte ihr Göttergatte Wadim Krawtschenko sich gemeldet. Er hatte eine gute Nachricht: Die Neujahrsreise, die sein alter Freund Sergej Meschtscherski mit seinen Schützlingen vom »Moskauer Geographischen Klub« unternommen und die sich über Gebühr in die Länge gezogen hatte, war zu Ende. Nach einem dreiwöchigen Treck mit Jeeps durch Nepal und Tibet waren sie jetzt wieder in Katmandu und warteten auf ihren Charterflug zurück in die Heimat.
Aus Katmandu war es Meschtscherski gelungen, Krawtschenko telefonisch zu erreichen. Er schwärmte ihm in den höchsten Tönen von der Reise vor, gab damit an, dass sie fünf buddhistische Klöster besucht, die alljährliche Zeremonie des Weißen Elefanten in Nepal gesehen und kilometerweise Videos mit Ansichten des Himalaya gedreht hätten.
Katja, die den Bericht über diese Heldentaten aus Krawtschenkos Mund hörte, empfand glühenden Neid:
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