Das Laecheln der Chimaere
alles Gute zum Geburtstag.«
Kolossow legte auf.
Da steckte doch etwas dahinter, wenn Obuchow so zuvorkommend war!
Kolossows nächster Anruf galt Iwan Bindjushny bei der Miliz von Skarabejewka. Kolossow erkundigte sich nach dem dort inhaftierten Maiski: Hockte er noch allein in seiner Zelle oder hatte er schon nette Gesellschaft?
»Einer unserer Männer sitzt bei ihm«, rapportierte Bindjushny mürrisch.
»Und was gibt’s Neues?«
»Tja«, Bindjushny war pessimistisch gestimmt, »was für Neuigkeiten soll es da geben, Nikita? Maiski selbst ist nicht drogensüchtig, also auch nicht auf Entzug. Er nimmt nichts von dem Zeug, er verkauft es bloß.«
»Und was ist mit dem Mord?«
»Über den Mord schweigt er sich aus. Aber ansonsten ist er sehr gesprächig. Die ganze Zeit trägt er laut Gedichte vor. Majakowski! Seine Zellennachbarn sind schon sauer – sie können nicht schlafen.«
»Was, ist er denn wirklich Dichter?«, fragte Kolossow.
»Unserem V-Mann hat er gesagt, er schreibt Liedertexte. Für Rockgruppen. Unser Mann beschreibt ihn als ganz sympathischen Burschen, herumgekommen, nicht auf den Kopf gefallen, immer gut gelaunt. Der lässt den Kopf nicht hängen. Aber eine Woche muss er ja noch sitzen, vielleicht ergibt sich noch was«, meinte Bindjushny aufmunternd.
»Wohl kaum«, entgegnete Nikita und erzählte Bindjushny, was das ballistische Gutachten, insbesondere die Untersuchung der Dienstpistole des Portiers Peskow, ergeben hatte.
»Peskow hat seine Stelle im Kasino gekündigt. Oder ist vermutlich gekündigt worden. Tu mir den Gefallen, Iwan, such ihn für mich. Ich muss noch einmal dringend mit ihm sprechen.«
»Was gibt es da groß zu suchen? Wenn er nicht mehr arbeitet, wird er wohl zu Hause sein. Komm her, und wir fahren direkt zu ihm nach Hause, und wenn er dort nicht ist, fahren wir zu seiner Schwester.«
Dagegen war nichts einzuwenden.
Draußen war es sehr kalt. Nachts hatte es unerwartet einen heftigen Frosteinbruch gegeben, der alles Gerede über die globale Erwärmung Lügen strafte.
Füße und Hände wurden zu Eis, die Ohren erstarrten. Eine geschlagene Viertelstunde lang kam Kolossow nicht vom Fleck – das Auto wollte einfach nicht anspringen. Endlich nieste der Motor, und der Wagen setzte sich in Gang. Eine halbe Stunde später lag die enge, verstopfte, froststarre Stadt hinter ihm, das Umland begann.
Die Sonne strahlte blendend hell und rot vom Himmel. Der Schnee am Straßenrand sah aus wie zersplittertes Glas, weiter entfernt auf den Feldern war er weiß und rein und funkelte derart, dass die Augen schmerzten. Je weiter man sich von Moskau entfernte, desto tiefer wurde der Schnee, desto länger und dunkler fielen die Schatten der Tannen auf die Straße, desto lauter und fröhlicher krächzte auf den Telegrafenmasten der verfrorene Krähenschwarm. Kolossow war froh, aus dem Präsidium in diese kalte Reinheit entflohen zu sein, in diese sengende, antarktische Landschaft.
Er holte Bindjushny vom Revier ab, und sie fuhren in den kleinen Ort Werchnie Tschaszy, wo Peskows Familie wohnte. Tschaszy war als alte Datschensiedlung bekannt. In den letzten Jahren waren hier anstelle der windschiefen Holzhäuschen etliche nagelneue Backsteinhäuser mit soliden Eisendächern aufgetaucht.
Das Grundstück Nummer 18 lag ganz am Rand hinter einem hohen Bretterzaun. Das Haus war bereits vollständig lochgezogen, aber die Innenarbeiten waren offenbar noch nicht fertig. Bindjushny donnerte mit der Faust an die Pforte. Hinter dem Zaun schlug wütend ein Hund an.
»Wer ist da?«, fragte eine dünne, weinerliche Frauenstimme.
»Die Miliz. Ist Ihr Mann zu Hause? Machen Sie auf, wir müssen ihn sprechen.«
Die Pforte wurde einen kleinen Spalt breit geöffnet. Der Hund hinterm Zaun bellte wie rasend.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
Das war der Kolossow bereits bekannte tiefe Schaljapin-Bass. Peskow war zu Hause. Wo hätte er auch sonst sein sollen, ohne Job? Die Pforte wurde aufgerissen. Nikita erblickte den ehemaligen Portier des »Roten Mohn«, seine Lebensgefährtin und seinen Wachhund – einen an die Kette gelegten riesigen kaukasischen Schäferhund, der die ungebetenen Gäste am liebsten in kleine Stücke gerissen hätte.
»Sie?«, wunderte sich Peskow. »Noch mal? Wieso?«
»Ich muss mit Ihnen reden«, antwortete Kolossow.
»Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu reden.« Peskow versperrte ihm den Weg. »Ihretwegen habe ich meine Arbeit verloren. Gehen Sie.«
»Das würde ich gern tun, es
Weitere Kostenlose Bücher