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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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verlassen.
    Der »Rote Mohn« war nun schon seit zwei Tagen geschlossen. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Dauer der Ermittlungen den Spielbetrieb gestoppt und bereits einen Antrag auf Entzug der Lizenz gestellt.
    Die Leiche von Vitas Taurage war zur gerichtsmedizinischen Untersuchung in die Anatomie geschickt worden, und die Ergebnisse der Autopsie bestätigten Kolossows Vermutungen voll und ganz. Aber auch sonst gab es viel nervenzerrendes Hin und Her, und ihm brummte schon der Schädel.
    Besondere Eile, mit Gasarow zu sprechen, hatte er eigentlich nicht. Sollte der ruhig erst einmal im eigenen Saft schmoren. Telefonisch hatte er bereits einen »Zellen-Rapport« erhalten.
    Im Unterschied zu dem erfahreneren Maiski, der auch im Gefängnis den Kopf nicht hängen ließ, litt der Spieler Aligarch heftig und führte sich in der Zelle »gewalttätig und aggressiv« auf. Kaum hatte die eiserne Tür sich hinter ihm geschlossen, begann er durch die Essensklappe die Wächter zu beschimpfen. Die ganze Nacht hämmerte er mit Fäusten und Absätzen gegen die Tür, fluchte, brüllte, verlangte nach dem Staatsanwalt, dem Untersuchungsführer, dem Rechtsanwalt, forderte eine Begründung für seine Festnahme, schrie, er sei unschuldig, er habe niemanden ermordet, und behauptete (das hatte der mit ihm in der Zelle sitzende V-Mann in seinem Rapport als psychologische Nuance im Benehmen des Verdächtigen besonders hervorgehoben) »Saljutow versuche auf diese schändliche Weise, ihn loszuwerden und sich an ihm zu rächen«.
    Dass Gasarow in der Zelle den Namen des Kasinochefs aussprach und vor Zeugen von einer offenen Rechnung zwischen ihm und Saljutow redete, war ein interessantes Detail, das man im Auge behalten musste. Mit dem Verhör dagegen brauchte man sich nicht so zu beeilen – hätte Kolossow die Freiheit gehabt, so hätte er den Verdächtigen sogar noch länger in der aufmerksamen Obhut des V-Manns gelassen, bis er von diesem ein klares Signal erhalten hätte, dass der Kunde »reif« sei.
    Aber Untersuchungsführer Sokolnikow wollte nicht warten. Er brauchte die Ergebnisse aus dem Verhör Gasarows sofort. Wie er erklärte, hing davon seine weitere Strategie für diesen Fall ab; er plante unter anderem Gegenüberstellungen mit den Sicherheitsleuten des Kasinos. Und obwohl Kolossow es überhaupt nicht mochte, wenn er sich abhetzen musste – gegen diese Argumente der Staatsanwaltschaft konnte er nichts einwenden.
    Auf der Fahrt nach Skarabejewka rief er sich die Fragen ins Gedächtnis, die er Aligarch gleich stellen wollte. Anschließend würde er Sokolnikow die Ergebnisse telefonisch mitteilen und dann endlich zur Klärung der »Frauenfrage« schreiten, die ihm seit vorgestern keine Ruhe ließ.
    Die Wache brachte Gasarow ins Sprechzimmer – eine Kammer, schmal wie ein Etui. Gasarow trug immer noch denselben schwarzen Anzug, den er am Abend im Kasino angehabt hatte, jetzt aber ohne Krawatte. Auch die Schuhbänder hatte die Wache ihm bei der Durchsuchung weggenommen. Der Anzug hatte nach der Nacht im Gefängnis völlig die Fasson verloren. Nikita dachte: Schwarz ist jetzt im »Roten Mohn« eine Art interne Uniform. Alle Männer tragen korrekte schwarze Anzüge von teuren Schneidern, alle Frauen schwarze, dekolletierte Abendkleider. Der Chef ist in tiefer Trauer, die Witwe seines Sohns trägt ebenfalls Trauerkleidung – sehr schicke übrigens. In Schwarz gehen die Wachmänner, schwarz ist die Uniform des Portiers. Nur die Croupiers im Spielsaal sehen in ihren Jacketts wie rote Krebse aus, und auch diese Egle fällt aus dem Rahmen. Mit ihrem dunkelblauen Seidenkleid und ihren goldblonden Haaren ähnelt sie einer Nixe.
    Nach der Lektüre des »Zellen-Rapports« erwartete Nikita auch beim Verhör von Gasarow dieselbe Aggressivität, die er in der Zelle an den Tag gelegt hatte. Aber Gasarow benahm sich völlig anders. Er schaute sich kurz in dem engen Kämmerchen um, blickte den am Tisch sitzenden Kolossow an, setzte sich auf den Stuhl, holte seine Zigaretten hervor (die hatte man ihm bei der Durchsuchung nicht weggenommen) und bat fast schon liebenswürdig: »Wenn ich Feuer haben dürfte.«
    Nikita reichte ihm sein Feuerzeug. Gasarow steckte sich eine Zigarette an und atmete durch.
    »Na, und nun?«, fragte er. »Übrigens, wer sind Sie eigentlich?«
    Er sprach mit einem leichten, wohlklingenden kaukasischen Akzent. Nikita betrachtete ihn interessiert: ein gutaussehender junger Mann, groß, dunkelhaarig, braungebrannt. Er

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