Das Laecheln der Fortuna - Director s Cut
großen Dichter Geoffrey Chaucer. Aber er biss sich auf die Zunge, ehe es heraus war. Er stand auf und trat ans offene Fenster. Die Abendsonne fiel mit schrägen, orangefarbenen Strahlen auf die Rosen, die als dichte Büsche im Gras standen, den Weg säumten, die Bank überschatteten und die Burgmauer hinaufkletterten. Robin fand den Anblick so schön, dass es ihm immer schwerfiel, die Augen abzuwenden.
„Aber du kannst doch nicht allein mit dem Jungen in London leben.“
„Warum nicht?“
„Oh, Blanche, du weißt genau, wie London ist. Nimm wenigstens einen meiner verheirateten Ritter und seine Familie mit. Dann habt ihr Schutz und Gesellschaft.“
„Nein, danke, das ist wirklich nicht nötig. Ich glaube, es ist besser, wenn wir vorläufig allein sind.“
Er drehte sich halb um und sah sie verständnislos an. „Du verlässt mich. Einfach so.“
Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nicht einfach so. Aber ich weiß keinen anderen Weg. Herrgott, du tust, als wäre London so weit fort wie Jerusalem! Dabei wirst du es sein, der wirklich weggeht. Du wirst dich Lancaster anschließen, und monatelang werde ich kein Wort hören und nicht wissen, ob du lebst oder tot bist, und du wirst sehr zufrieden mit dir sein und denken, dass es mir recht geschieht, wenn ich vor Angst nicht schlafen kann, nicht wahr, Robin?“
Sie traf mitten ins Schwarze. Genau das war sein Racheplan gewesen. Aber das konnte er nicht eingestehen. „Liebste Blanche. Wenn ich zu Lancaster gehe, dann um meinen Diensteid zu erfüllen, nicht um dir etwas heimzuzahlen. Und ich wäre dir ausgesprochen dankbar, wenn du mir Vorhaltungen und tränenreiche Szenen erspartest.“
Ihre schwarzen Augen funkelten gefährlich. „Nenn mir eine einzige Gelegenheit, bei der ich dir eine tränenreiche Abschiedsszene gemacht hätte. Du bist es doch, der keine Trennung aushalten will und selbstsüchtig ist! Und untersteh dich, mich zu beleidigen, weil dir nicht gefällt, was ich zum Wohl meines Sohnes tue …“
Er sah wieder in den Garten hinunter. „Lass uns nicht streiten.“
„Ach, du willst nie streiten!“, sagte sie mit einer ungeduldigen Geste. „Du hast lieber deine Ruhe.“
Plötzlich glitt er vom Fenster weg. „Komm her, Blanche.“
„Was? Wozu.“
„Komm schon. Aber leise. Sieh dir das an.“
Sie erhob sich stirnrunzelnd und trat zu ihm. Er hinderte sie, ganz ans Fenster zu treten, wies aber in den Garten hinunter.
Mortimer und Raymond knieten zusammen im Gras. Vor ihnen hockte ein großer, grauer Sperber, eine Schwinge eigentümlich abgewinkelt. Es war Raymonds Sperber, den er, so hatte sein Vater erklärt, fortan mit Mortimer teilen sollte. Mortimer hatte kalt lächelnd abgelehnt. Und er hatte aus seiner Schadenfreude keinen Hehl gemacht, als der Sperber von einem seiner Beutezüge mit gebrochenem Flügel zurückkehrte. Robins Falkner hatte Raymond gesagt, der Bruch sei zu tückisch, da könne man rein gar nichts machen, und hatte angeboten, den Vogel für ihn zu töten. Aber Raymond wollte davon nichts hören. Er trug den Vogel zu seiner Tante Agnes, die den Flügel schiente. Dann quartierte er ihn in seiner Kammer ein und fütterte ihn mit rohem Fleisch. Jeden Abend brachte er ihn für eine Stunde in den Garten hinunter, wenn das Wetter es zuließ. Damit der Sperber den Himmel sehen könne, hatte Raymond Robin erklärt, und nicht schwermütig werde. Mortimer hatte bislang sehr glaubhaft den Eindruck vermittelt, als sei ihm die Genesung des Sperbers von Herzen gleichgültig. Aber jetzt beugte er zusammen mit Raymond den Kopf über die kunstvoll bandagierte Schwinge, und nach einer Weile nahm er den Handschuh, den Raymond ihm hinhielt, und verabreichte dem Patienten die zweite Hälfte seines Abendessens.
Gut gemacht, Raymond, dachte Robin stolz. Und ich hatte doch in Wirklichkeit kaum Hoffnung. Er sah Blanche mit leuchtenden Augen an. „Und was sagst du jetzt?“
„Ich sage, dass ich keinen Anlass sehe, warum du so selbstzufrieden grinsen solltest.“ Aber sie lächelte selber, legte die Arme um Robin und sah auf den blonden und den schwarzen Schopf unten zwischen den Rosen. Es war ein friedvolles Bild. „Ich denke, das könnte alles ändern“, murmelte sie.
„Du wirst es noch ein bisschen länger mit uns versuchen?“
Sie nickte. „Ich werde sie nicht auseinanderreißen, wenn auch nur ein Funke Hoffnung besteht, dass sie Freunde werden. Das könnte … so vieles wiedergutmachen.“
Robin war erleichtert. Vor allem, weil sie
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