Das Lächeln der Frauen
ein
Alptraum war. Ich mußte die hartnäckige Mademoiselle Bredin loswerden, bevor
sie die Wahrheit über Robert Miller herausfand, und wollte nichts lieber, als
die Frau mit dem hinreißenden Lächeln wiedersehen.
Nachdem
Mademoiselle Bredin am Ende des Flurs verschwunden war, hatte ich mir eine Zigarette
angezündet. Dann war ich in das Sekretariat gestürzt, in dem tagsüber Madame
Petit herrschte, und hatte mein grünes Plastikfach durchwühlt, bis ich ein
längliches weißes Kuvert fand, das an den »Schriftsteller Robert Miller«
adressiert war. Ich hatte noch einmal kurz den Kopf durch die Tür gesteckt und
gelauscht - nicht daß Mademoiselle noch einmal zurückkam und mich dabei
erwischte, wie ich fremde Post öffnete -, und dann riß ich hastig und ohne den
Brieföffner zu benutzen jenen handgeschriebenen Brief auf, der nun schon seit
ein paar Tagen an den unterschiedlichsten Stellen in meiner Wohnung gelegen
hatte und immer wieder gelesen worden war.
Paris im November
Dear Robert Miller!
Sie haben mich heute nacht um den Schlafgebracht, und
dafür möchte ich Ihnen danken! Eben habe ich Ihr Buch »Das Lächeln der Frauen«
zu Ende gelesen. Was heißt gelesen? Ich habe diesen Roman verschlungen, der so
wunderbar ist und der mir erst gestern abend (sozusagen auf der Flucht vor der
Polizei) in einer kleinen Buchhandlung eher zufällig in die Hände fiel. Damit
will ich sagen: Ich habe nicht nach Ihrem Buch gesucht. Meine große
Leidenschaft ist das Kochen, nicht das Lesen. Normalerweise. Doch Ihr Buch hat
mich mitgerissen, begeistert, es hat mich zum Lachen gebracht und ist
gleichzeitig so leicht und so voller Lebensweisheit. Mit einem Wort: Ihr Buch
hat mich glücklich gemacht an einem Tag, als ich so unglücklich war wie nie
zuvor (Liebeskummer, Weltschmerz), und daß ich Ihr Buch gerade in diesem Moment
gefunden habe (oder hat Ihr Buch etwa mich gefunden?), ist für mich eine
schicksalhafte Fügung.
Das mag für Sie jetzt vielleicht merkwürdig klingen, aber
bereits als ich den ersten Satz las, ahnte ich, daß dieser Roman für mich eine
ganz besondere Bedeutung haben würde. Ich glaube nicht an Zufälle.
Lieber Monsieur Miller, bevor Sie jetzt denken, Sie haben
es mit einer Verrückten zu tun, sollten Sie ein paar Dinge wissen.
Das »Temps des Cerises«, das in Ihrem Buch des öfteren
vorkommt und das Sie so liebevoll beschreiben, ist mein Restaurant. Und Ihre
Sophie - bin ich. Die Ähnlichkeit ist zumindest frappierend, und wenn Sie sich
das Photo anschauen, das ich beigelegt habe, werden Sie verstehen, was ich
meine. Ich weiß zwar nicht, wie das alles zusammenhängt, aber ich frage mich
natürlich, ob wir uns schon einmal begegnet sind, ohne daß ich mich daran
erinnern kann. Sie sind ein erfolgreicher englischer Autor, ich bin eine
französische Köchin mit einem eher unbekannten Restaurant in Paris - wie sollen
sich unsere Wege gekreuzt haben?
Sie können sich vielleicht vorstellen, daß mir diese
ganzen »Zufälle«, die doch irgendwie keine Zufälle sein können, keine Ruhe
lassen.
Ich schreibe Ihnen in der Hoffnung, daß Sie vielleicht
eine Erklärung für mich haben. Leider habe ich Ihre Adresse nicht und kann nur
über den Umweg des Verlags an Sie herantreten. Es wäre mir eine Ehre,
wenn ich den Mann, der solche Bücher schreibt und dem ich, wie ich finde, sehr
viel schulde, zu einem von mir zubereiteten Essen ins »Temps des Cerises«
einladen dürfte.
Wie ich Ihrer Vita (und auch Ihrem Roman) entnehmen kann,
lieben Sie Paris, und ich denke, daß Sie vielleicht doch öfter hier sind. Ich
fände es so schön, wenn wir uns persönlich kennenlernen könnten. Und vielleicht
löst sich dann ja auch so manches Rätsel.
Ich kann mir denken, daß Sie, seitdem Ihr Buch erschienen
ist, sicherlich viele begeisterte Zuschriften bekommen haben, und mir ist auch
klar, daß Sie nicht die Zeit haben, jedem einzelnen Ihrer Leser zu antworten.
Doch ich bin nicht jeder Leser, das müssen Sie mir einfach glauben. Für mich
ist »Das Lächeln der Frauen« in jeder Hinsicht ein ganz besonderes, ja
schicksalhaftes Buch gewesen. Und es ist eine Mischung aus tiefer Dankbarkeit,
großer Verwunderung und neugieriger Ungeduld, mit der ich diesen Brief an Sie
abschicke. Ich würde mich unglaublich über eine Antwort von Ihnen freuen, und
ich wünsche mir nichts mehr als eine Zusage für ein Abendessen im »Temps des
Cerises«.
Mit den allerherzlichsten Grüßen,
Ihre
Aurélie Bredin
PS: Es
Weitere Kostenlose Bücher