Das Laecheln der Sterne
bekommen. Sie dehnte sich auf ihrem Stuhl und spürte das Zwicken der beginnenden Arthritis.
Als sie ihrem Arzt davon erzählte, hatte er sie gebeten, sich auf einen Tisch zu setzen in einem Raum, in dem es nach Ammoniak roch. Der Arzt hielt ihre Arme in die Höhe und forderte sie auf, die Knie zu beugen. Dann stellte er ihr ein Rezept aus, mit dem sie gar nicht erst zur Apotheke ging. So ernst ist es noch nicht, sagte sie sich. Außerdem war sie der Ansicht, dass sie, wenn sie erst einmal damit anfing, in kürzester Zeit immer mehr Tabletten gegen die verschiedenen Zipperlein nehmen würde, von denen Menschen in ihrem Alter geplagt wurden. Und bald säße sie vor einer ganzen Palette regenbogenfarbener Tabletten, von denen manche morgens und andere abends zu nehmen waren, manche mit dem Essen, andere nüchtern, und sie würde sich einen Plan an den Arzneischrank kleben müssen, um nicht die Übersicht zu verlieren. Das schien ihr viel zu viel Aufwand für den geringen Nutzen zu sein.
Amanda saß mit gesenktem Kopf am Tisch. Adrienne betrachtete sie und wusste, dass sie Fragen stellen würde. Das war unvermeidlich, aber eine kleine Unterbrechung, so hoffte sie, war ihr vergönnt. Sie brauchte ein paar Minuten, um ihre Gedanken zu sammeln, damit sie das, was sie begonnen hatte, auch zu Ende bringen konnte.
Sie war froh, dass Amanda zu ihr ins Haus gekommen war.
Sie lebte seit dreißig Jahren in diesem Haus, es war ihr Heim, mehr noch als es das Haus ihrer Kindheit gewesen war.
Zugegeben, einige der Türen hingen schief in den Angeln, der Teppich im Flur war abgetreten und dünn wie Papier, und die 144
Farbe der Kacheln im Badezimmer war schon seit Jahren nicht mehr modern. Aber für Adrienne hatte es etwas Beruhigendes, zu wissen, dass sie die Zeltausrüstung auf dem Dachboden links hinten in der Ecke finden konnte und dass die Sicherung jedes Mal rausflog, wenn die Heizungspumpe im Winter zum ersten Mal in Betrieb genommen wurde. Das Haus hatte seine Gewohnheiten, und sie ebenfalls, und im Laufe der Jahre waren sie so vertraut miteinander geworden, dass ihr Leben dadurch vorhersehbarer und seltsam tröstlich verlief.
So war es auch mit der Küche. Sowohl Matt als auch Dan hatten sich in den letzten Jahren erboten, sie zu renovieren, und zu ihrem Geburtstag hatten sie einen Innenarchitekten bestellt, der sich alles einmal ansehen sollte. Er hatte an die Türscharniere gepocht, seinen Schraubenzieher in die Ecken der quietschenden Ablagen gesteckt, Schalter an- und ausgeknipst und einen unterdrückten Pfiff ausgestoßen, als er den uralten Herd sah, auf dem Adrienne immer noch kochte.
Am Schluss hatte er ihr empfohlen, einfach alles neu machen zu lassen, und ihr später einen Kostenvoranschlag und eine Liste mit Adressen von Handwerksbetrieben geschickt.
Adrienne wusste, dass ihre Söhne es gut mit ihr meinten. Doch sie bat sie, ihr Geld für etwas zu sparen, das sie für sich und ihre Familien brauchten.
Außerdem mochte Adrienne die alte Küche so, wie sie war.
Bei einer Renovierung würde ihr Charakter verändert, und dabei hing Adrienne doch an den Erinnerungen, die mit dem Raum, so wie er war, verknüpft waren. Schließlich hatten sie hier den größten Teil ihrer Zeit verbracht, als sie noch eine richtige Familie waren, als Jack noch bei ihnen war und auch danach. Die Kinder hatten an dem Küchentisch, an dem sie jetzt saß, ihre Hausaufgaben gemacht, und viele Jahre lang hing das einzige Telefon im Haus an der Küchenwand.
Adrienne erinnerte sich an die vielen Male, da das Kabel zwischen Küchentür und Fliegengitter eingeklemmt war, weil 145
eins der Kinder versuchte, auf der Veranda ungestört zu telefonieren. An den Regalpfosten in der Speisekammer waren die Bleistiftstriche zu sehen, mit denen sie markiert hatten, wie viel die Kinder in einem Jahr gewachsen waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie darauf verzichten wollte, nur um eine neue und bessere Einrichtung zu besitzen, und sei sie noch so schick. Anders als das Wohnzimmer, wo der Fernseher ständig lief, und die Schlafzimmer, in die man sich zurückzog, wenn man allein sein wollte, war dies der Raum, wo man sich traf, wenn man etwas zu erzählen hatte oder zuhören wollte.
Wenn es etwas zu lernen oder mitzuteilen gab, etwas zu lachen oder zu weinen. Dieser Raum war das eigentliche Zuhause, wo sie sich immer am wohlsten gefühlt hatte.
Und dies war auch der Raum, in dem Amanda erfuhr, was ihre Mutter erlebt hatte.
Adrienne
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