Das Lächeln der Sterne
anderen Frau verlassen wurde, signalisierte das auch etwas anderes. Und so sehr sich Adrienne bemühte, nicht darüber nachzudenken, gab es doch Zeiten, zu denen es unumgänglich war. Jack hatte sich von ihr abgewandt, von dem Leben, das sie zusammen geführt hatten. Das war ein vernichtender Schlag für sie als Ehefrau und Mutter – aber auch für sie als Frau. Selbst wenn er, wie er behauptete, nicht vorgehabt hatte, sich in Linda zu verlieben, selbst wenn es einfach geschehen war, hatte er ja nicht einfach seinen Gefühlen nachgegeben, ohne bestimmte Entscheidungen zu treffen. Er musste über sein Handeln nachgedacht haben, über die Folgen, die daraus erwachsen würden, wenn er seine Zeit mit Linda verbrachte. Und so sehr er sich bemüht hatte, das, was geschehen war, herunterzuspielen, gab er Adrienne durch sein Verhalten am Ende doch zu verstehen, dass er Linda in jeder Hinsicht bevorzugte und dass sie, Adrienne, für ihn weder die Zeit noch die Mühe wert war, seine Ehe zu retten.
Wie sollte sie auf diese umfassende Zurückweisung reagieren? Andere konnten leicht sagen, dass es nicht an ihr lag und dass Jack in einer Midlifecrisis steckte – es hatte dennoch Auswirkungen auf sie als Mensch. Und besonders auf sie als Frau. Es konnten schwerlich sinnliche Gefühle entstehen, wenn man sich nicht attraktiv fühlte. Und die drei Jahre nach der Scheidung, in denen sie nicht ein einziges Mal mit einem Mann verabredet gewesen war, verstärkten nur ihr Gefühl der Unzulänglichkeit.
Wie war sie mit diesem Gefühl umgegangen? Sie hatte all ihre Energie auf die Kinder konzentriert, auf ihren Vater, ihr Haus, ihre Arbeit, die Rechnungen. Ob bewusst oder unbewusst, sie hatte aufgehört, Dinge zu tun, die ihr Gelegenheit gaben, über sich selbst nachzudenken. Vorbei die entspannenden Gespräche mit Freundinnen am Telefon, vorbei die Spaziergänge und die Stunden in der Badewanne, vorbei auch die Arbeit im Garten. Obwohl Adrienne geglaubt hatte, ihr Leben bestens im Griff zu haben, erkannte sie jetzt, dass sie auf dem falschen Weg gewesen war.
Es hatte ihr nämlich nichts geholfen. Vom Aufwachen bis zum Schlafengehen war sie beschäftigt, es gab auch selten etwas, worauf sie sich freuen konnte. Ihr Tag bestand aus einer Aneinanderreihung von Pflichten, was sie immer wieder bis an den Rand der Erschöpfung trieb. Sie hatte alles aufgegeben, was das Leben lebenswert machte – mit dem Ergebnis, so erkannte sie plötzlich in aller Deutlichkeit, dass sie vergessen hatte, wer sie wirklich war.
Paul, so vermutete sie, hatte diese Tatsache längst erkannt. Und irgendwie war es ihr in den wenigen Stunden, die sie zusammen verbracht hatten, möglich geworden, es auch selbst wahrzunehmen.
Aber es ging nicht nur darum, die Fehler, die sie in der Vergangenheit gemacht hatte, zu sehen. Es ging auch um die Zukunft und darum, wie sie fortan leben sollte. Was geschehen war, war geschehen, daran konnte sie nichts mehr ändern. Doch die Zukunft lag vor ihr, und sie wollte den Rest ihres Lebens nicht so verbringen wie die letzten drei Jahre.
Adrienne rasierte sich die Beine und blieb noch eine Weile in der Wanne liegen, bis der Schaum fast weg war und das Wasser langsam kalt wurde. Dann trocknete sie sich ab und nahm – sie wusste, dass Jean nichts dagegen gehabt hätte – die Lotion von der Konsole, mit der sie sich Beine und Bauch, dann Brüste und Arme einrieb und das belebende Gefühl auf der Haut genoss.
Anschließend hüllte sie sich in das Handtuch und ging zu ihrem Koffer. Aus reiner Gewohnheit griff sie nach einem Paar Jeans und einem Pullover, aber gleich darauf legte sie sie wieder weg. Wenn ich es ernst damit meine, dass ich mein Leben verändern will, dachte sie, dann sollte ich sofort damit anfangen.
Sie hatte nicht viel anderes in ihrem Koffer, schon gar keine festliche Kleidung, aber immerhin eine schwarze Hose und eine weiße Bluse, ein Weihnachtsgeschenk von Amanda. Adrienne hatte sie eingepackt in der vagen Hoffnung, dass sie vielleicht an einem Abend ausgehen würde, und obwohl jetzt von Ausgehen keine Rede sein konnte, schien es ihr angemessen, die Sachen anzuziehen.
Sie trocknete sich die Haare mit dem Föhn und bürstete sie. Dann legte sie Make-up auf: Wimperntusche, einen Hauch Rouge und Lippenstift, den sie vor ein paar Monaten bei Belk’s gekauft, aber bisher selten benutzt hatte. Sie beugte sich zum Spiegel vor und trug eine Spur Lidschatten auf, nur so viel, dass die Farbe ihrer Augen betont
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