Das Lächeln der toten Augen
Die Ausgeburt des schwarzen Steins der Verdammnis muss vernichtet werden, sonst werden wir ihm alle in die ewige Finsternis folgen.«
Ein greller Blitz zerriss den dunklen Vorhang der Nacht.
Der Gewittersturm war zurückgekehrt.
*
Trevisan war müde, als er gegen zehn Uhr seinen Wagen in der Garage in der Cäcilienstraße abstellte. Langsam ging er über den Fußweg zwischen den Büschen hindurch zur Haustür. Noch immer kreisten seine Gedanken um das Gespräch mit Gunther Behrends. Trevisan wusste, dass der Abgeordnete gelogen hatte. Behrends wusste viel mehr als das, was er gesagt hatte. Trevisan hätte nach der ersten Unterhaltung nicht gedacht, dass der Politiker so tief in der Sache steckte. Behrends war eine harte Nuss, doch trotz seiner Immunität als Abgeordneter würde Trevisan nicht aufgeben.
Die Außenlampe neben der Haustür erhellte den Eingang nur spärlich. »Guten Abend, Herr Trevisan«, tönte es plötzlich aus der Dunkelheit.
Trevisan fuhr erschrocken zusammen. Reflexartig krümmte er sich und fasste an sein Schulterholster, das unter der Jacke verborgen war. »Wer ist da?«, rief er scharf.
Der Körper eines jungen Mannes schält sich aus der Dunkelheit. Er hatte im Schatten der Birke hinter der Gartentür gestanden.
»Entschuldigung«, sagte der Junge. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Die Konturen eines Gesichtes offenbarten sich im fahlen Licht: Nikolas Ricken, Paulas verbotene Liebe.
»Was fällt dir ein, mir aufzulauern wie ein Dieb?«, entgegnete Trevisan wütend. Sein Körper entspannte sich.
»Ich wollte mit Ihnen reden«, sagte der Junge.
Trevisan setzte seinen Weg fort. »Ich wüsste nicht, worüber wir noch reden sollten.«
»Ich liebe Paula.«
Trevisan blieb stehen und drehte sich um. »Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist. Du bist doch nur …«
»Ich denke den ganzen Tag nur noch an sie«, fiel er Trevisan ins Wort. »Und wenn ich an sie denke, dann kribbelt es in meinem Bauch, als würden tausende von Ameisen darüber laufen. Und nachts kann ich nicht mehr schlafen.«
»Sie ist noch viel zu jung für dich.«
»Sie ist sechzehn.«
»Fünfzehn.«
»Aber sie wird sechzehn. In drei Monaten.«
Trevisan seufzte. »Wie stellst du dir das Ganze vor? Ich kann euch doch nicht erlauben, dass ihr zusammen … Ich meine, sie ist noch ein Kind.«
Der Junge trat einen Schritt vor. Seine Augen glänzten im matten Licht. »Ich kann verstehen, dass Sie mich nicht mögen«, sagte Nikolas. »Ich habe gestohlen, ich habe jemanden zusammengeschlagen und ich habe gelogen und schon mit sechzehn mehr Alkohol getrunken als mancher Erwachsene. Ich weiß heute, dass es falsch war. Aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Jeder begegnet mir mit Misstrauen. Die Sache mit Ihrer Uhr zum Beispiel … Mit meinem schlechten Ruf werde ich leben müssen. Aber ich bin sicher, Sie hätten nichts gegen die Freundschaft, wenn ich jemand anderes wäre.«
Trevisan sah die Tränen im Gesicht des jungen Mannes. »Es ist doch nur … du bist schon neunzehn«, sagte er unsicher.
»Wie viele Jahre Unterschied waren zwischen Ihnen und Ihrer Frau?«
»Das hat doch gar nichts damit zu tun«, erwiderte Trevisan.
»Ja, das war wohl etwas ganz anderes.«
»Hat sie dich geschickt?«
»Wer?«
»Na, deine Betreuerin«, hakte Trevisan nach.
»Sie weiß überhaupt nicht, dass ich hier bin«, sagte Nikolas. »Sie hat mir geraten, Paula zu vergessen. Sie sagte, der Kerl ist so borniert, das hat keinen Sinn, mit dem zu reden. Der weicht keinen Millimeter von seinen Vorurteilen ab.«
Trevisan lächelte. »Du scheinst zumindest die Wahrheit zu sagen. Und was erwartest du jetzt von mir?«
Zögernd ging der Junge einen weiteren Schritt auf Trevisan zu. »Ich gebe Ihnen mein Wort, das ich Paula niemals wehtun werde. Ich will nur mit ihr zusammen sein.«
Trevisan atmete tief ein. Anfänglich hatte er den Jungen nur für unverschämt gehalten, doch mittlerweile – musste er sich eingestehen – war er sogar beeindruckt. Er überlegte, was er tun sollte. Konnte er überhaupt etwas tun? Was machte Paula den ganzen Tag, wenn er in seinem Büro saß und Mörder jagte? Wenn sie wirklich mit Nikolas zusammen sein wollte, konnte er sie nicht aufhalten. Auch Angela hatte ihm am Telefon gesagt, dass Eltern in solchen Situationen fast immer den Kürzeren ziehen. Hatte er, wenn er jetzt nachgab, nicht sogar mehr erreicht als andere Eltern mit all ihren Verboten und Maßregelungen?
»Gut, ihr könnt euch treffen.
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