Das Lächeln der toten Augen
Kollegen haben einen jungen Mann gefunden. Er liegt auf einem alten Kahn und ist wohl von einem Mast in den Tod gestürzt.«
Trevisan atmete tief ein. Sein Blick streifte den Radiowecker. Es war zwei Uhr fünfzehn. »Was soll das heißen? Wurde er erschossen oder war es ein Unfall? Und was für einen Mast überhaupt?«
»Der Kahn ist ein altes Feuerschiff mit einem hohen Mast in der Mitte«, stellte Till klar. »Der Junge ist vermutlich aus großer Höhe vom Mast gefallen. Warum, ist noch unklar. Aber zumindest wurden etwa zu gleicher Zeit Schüsse im Hafengebiet gehört. Ich denke, es ist am besten, wenn du kommst.«
»Wo bist du jetzt?«
»Auf der Dienststelle.«
»Gut, dann warte dort, ich komme.«
Trevisan duschte erst heiß, dann kalt, um das bohrende Gefühl in seinem Kopf zu vertreiben. Wie viel Bier hatte er getrunken? Vier, fünf oder gar mehr? Er wusste es nicht mehr. Nachdem er fertig war und sich angezogen hatte, legte er einen Zettel für seine Tochter auf den Küchentisch. Paula würde bestimmt tief und fest schlafen. Schließlich verließ er das Haus.
Verwundert stand er vor der offenen Garage. Sein Wagen fehlte. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass Peter ihn nach Hause gefahren hatte. Er fluchte laut, als er zurück ins Haus ging, um Till Schreier anzurufen.
*
Till fuhr mit dem alten, grauen Audi vor. Trevisan rümpfte die Nase. Der Wagen hätte längst schon ausgemustert werden müssen – über zweihunderttausend Kilometer, ein notdürftig geflickter Auspuff und durchgesessene Sitze.
»Hast du nichts Besseres gefunden?«, sagte er mürrisch, als er auf dem Beifahrersitz Platz nahm.
Im Schein der verschmutzten Innenbeleuchtung sah er das Lächeln auf Tills Gesicht. »Der Wagen ist uns von der Fahrbereitschaft zugeteilt.«
Ein gurgelndes Knurren war alles, was Trevisan erwiderte.
»Wer ist noch unterwegs?«, sagte er, nachdem er sich angeschnallt hatte.
»Monika und Tina sind mit Dietmar gefahren«, antwortete Till. »Alex hat ja frei.«
»Kleinschmidt?«
»Er trommelt gerade sein Team zusammen.«
»Dann ist ja gut«, sagte Trevisan und ließ sich in seinen unförmigen Sitz sinken.
11
Sanft kräuselte sich das Wasser der Nordsee im milchigen Schein der Bootslampen. Die Nebelbank voraus war schier undurchdringlich und der leichte Wind führte Kälte aus dem Norden heran. Es war frostig geworden, hier draußen am Süderhever. Der Leuchtturm vor Pellworm hatte sich längst hinter der weißen Wand versteckt und nur die Nadel des Kreiselkompasses verriet dem Steuermann, in welcher Richtung sich die Landzunge von Eiderstedt verbarg.
Dennoch hatten die Männer der Nordstrand beschlossen, einen weiteren Versuch zu wagen. Noch einmal hatten sie in dieser Nacht die Schleppnetze ausgeworfen. Tiefer diesmal als zuvor, denn noch immer waren die Laderäume des Trawlers nur bis zur Hälfte gefüllt. Und dabei hatte die Nacht so vielversprechend begonnen.
Gleichmäßig liefen die Kurrleinen von der Winsch und das Netz breitete sich aus wie ein Fächer, als der Steuermann auf halbe Fahrt ging.
Die Schiffsdiesel brummten monoton. Die beiden Fischereigehilfen standen am Heck und achteten darauf, dass sich die Seile gleichmäßig spannten.
Alles verlief nach Plan. Die Seile waren abgespult und die Scherbretter hatten sich ausgerichtet, damit sich die Öffnung des Netzes wie das Maul eines Wals auffalten konnte. Der Steuermann blickte zufrieden auf die Instrumente. Plötzlich lief ein Ruck durch das Schiff. Das Ruder zerrte heftig an seinen Händen. Die Kurrleinen sprangen unter großer Spannung aus dem Wasser und der Trawler neigte sich bedrohlich zur Seite. Einer der Fischereigehilfen stürzte und schlug mit dem Kopf auf den Planken auf. Es schien, als hätte eine eiserne Faust das Schiff ergriffen, um es hinab zum Meeresgrund zu ziehen. Dann riss das Grundtau aus der Verankerung und schnellte unter lautem Surren durch die Luft davon.
Sofort drosselte der Steuermann die Maschine. Erschrocken blickte er auf das Ruder, das er noch immer fest umklammert in seinen Händen hielt. Der Vortrieb des Trawlers erlahmte und das Schiff richtete sich unter lautem Ächzen und Stöhnen wieder aus. Dann kehrte Ruhe ein, bis auf das monotone Tuckern des Diesels.
Der Steuermann verließ das Ruderhaus und hastete zum Heck des Schiffes. »Was ist passiert?«, fragte er atemlos, als er auf seine beiden Gehilfen traf. Der eine saß am Boden und hielt sich seinen Kopf, während der andere mit einem Tuch das Blut
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