Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
Ladenbesitzer.»
«Vermutlich.»
Jane stellte sich Lucy Devenish vor, früher der gute Geist von Ledwardine, wie sie im Schatten der Markthalle stand. Lucy sah sehr alt aus, so, wie sie nie ausgesehen hatte, und ihr Poncho hing schlapp an ihr herunter. Irgendetwas fühlte sich falsch an.
«Komm, lass uns hier weggehen», sagte Jane.
6 Nur noch bergab
Merrily fand die Atmosphäre drückend. Es war zu stark geheizt, Essensgerüche hingen in der Luft, es war, als wäre irgendwas außer Kontrolle geraten.
Sie tauschte einen Blick mit Saltash, der am anderen Ende des Sofas saß. Saltash hob eine Augenbraue. Mrs. Mumford schien ihn für einen Pfarrer zu halten. Noch dazu für den falschen.
«Wo ist der Bischof?», schrie sie immer wieder ihren Sohn an. «Du hast gesagt, der Bischof kommt. Nie machst du, was du sagst.»
Mumford saß teilnahmslos auf einem Stuhl neben dem Fernseher, in dem lautlos irgendeine Kindersendung lief. Mumfords Vater war gegangen, kurz nachdem sie gekommen waren. «Kann das nicht länger ertragen. Ich geh einkaufen. Sie will sich der Sache nicht stellen. Bring sie zur Vernunft, Junge. Sonst kannst du sie gleich mitnehmen.»
«Mir ist kalt.» Mrs. Mumford zog ihren Sessel gefährlich nah an den Gasofen. «Hol mir meine Strickjacke, Andrew.»
«Du hast sie schon an, Mom.»
Mumford sah auf seine Schuhe hinab. Man fühlte sich in diesem Zimmer wie im Innern eines Trockenofens. Seine Mutter trug einen einzelnen goldenen Ohrring, und das nicht aus modischen Gründen. Sie sah von Merrily zu Saltash und dann zu Andy. Das hatte sie schon zweimal gemacht, als versuchte sie darauf zu kommen, wer sie eigentlich alle waren.
«Warum ist der Bischof nicht gekommen?»
«Es geht ihm nicht gut, Mom, hab ich dir doch gesagt. Er hatte eine Herzoperation.»
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Er war immer so nett zu mir, hat nie über Gott und den ganzen Mist geredet. Ist immer gekommen, als wir noch den Laden hatten, hat fast jeden Abend bei uns seine Zeitung geholt.»
«Mom, das war der alte Bischof. Der wohnt gar nicht mehr hier.»
Mrs. Mumford stierte schweigend vor sich hin. Merrily sah sich im Zimmer um. Die Wände waren kahl, bis auf ein großes Bild in einem goldenen Rahmen, das allerdings mit der Vorderseite zur Wand hing.
Was mochte darauf zu sehen sein? Ludlow Castle?
«Was möchten Sie denn vom Bischof hören?», fragte Saltash.
Mrs. Mumford starrte jetzt ihn an, als würde sie ihn kennen, könnte ihn aber nicht einordnen.
«Warum hat Gott zugelassen, dass sie ihn nimmt?», flüsterte sie und fing an zu weinen. «Warum hat Gott dieser Frau erlaubt, unseren Jungen zu nehmen?»
Saltash lehnte sich vor. «Von welcher Frau sprechen Sie, Phyllis?»
«Du bist doch Polizist!», fuhr sie Andy an. «Warum hast du sie nicht aufgehalten?»
Andy Mumford sog mit zusammengebissenen Zähnen scharf die Luft ein.
Merrily sagte sanft: «Mrs. Mumford, welche Frau meinen Sie?»
Mumfords Mutter sah sie nicht an. «Das kann ich nicht sagen.» Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und putzte sich die Nase.
Andy sagte: «Mom, du kannst Mrs. Watkins alles sagen, sie behält es für sich.»
«Was … dieses Mädchen?»
Sie schnaubte. Mumford sah Merrily hilflos an.
«Phyllis», sagte Saltash. «Sie wollten uns doch von Robbie erzählen.»
«Oh.» Plötzlich lächelte sie und setzte sich gerade hin. «Er ist so gerne hier.»
«Er hat sich hier gut aufgehoben gefühlt.»
«Er liebt es, hier zu sein.»
«Er war sehr an Geschichte interessiert, oder?»
«Er liebt die ganzen alten Häuser. Er läuft immer rum und sieht sich die alten Häuser an. Er weiß, wann sie gebaut wurden, und er weiß, wer in ihnen gelebt hat. Er hat eine Menge Bücher gelesen. Liest stundenlang. Ich sage immer, du verdirbst dir die Augen, wenn du bei dem Licht liest!»
«Phyllis», sagte Saltash. «Sehen Sie Robbie … wie er liest?»
«Nein!» Sie fuhr auf und spuckte das Wort geradezu aus. «Ich möchte ihn nicht mehr sehen. Ich hab gesagt, bitte, ich möchte ihn nicht sehen. Ich will ihn so nicht sehen …»
«So?»
«Mit zerschmettertem Körper. Ich will nicht – ich höre ihn jetzt. Ganny, Ganny … Manchmal ist er ganz weit weg. Aber manchmal, wenn ich schon fast eingeschlafen bin, ist er richtig nah. Ganny …» Sie lächelte. «Er zeichnet sie auch, die alten Häuser. Er ist richtig gut. Malt die ganzen alten Häuser. Und die Kirche. Und das Schl–»
Sie verstummte, mit offenem Mund. Und dann
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