Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
nicht. Jedenfalls …» Der Bischof hustete. «Sie haben es von außen gezeigt. Unverkennbar. Diesmal
war
es der Henkersturm.»
14 Schwarzer Mohn
Am Abend kochte Lol in seiner Küche mit dem Primuskocher Wasser, um Tee zu machen. Er hatte Merrily am Feuer allein gelassen, damit sie sich weiter anziehen konnte. Er hatte ihr etwas zu sagen, aber das konnte warten.
Als er mit dem Tablett zurück ins Wohnzimmer kam, saß sie am Rand des Sofas, klein und sittsam, mit – es sei denn, er täuschte sich – demselben Glanz auf dem Gesicht, den er an ihr einmal im Licht der Altarkerzen gesehen hatte. Aber dieser Glanz würde nur allzu schnell wieder verschwinden.
«Alles in Ordnung?»
«Ich gehe später mit einer Taschenlampe und einem Spiegel rauf ins Badezimmer, damit ich mein Aussehen im Detail überprüfen kann.»
«Das hatte ich eigentlich nicht gemeint», sagte Lol.
Wie so oft hatte es etwas Heimliches gehabt. Die Vorhänge verstohlen zugezogen. Auf Sofakissen diesmal, auf dem Steinboden. Wie Teenager, die fürchten, dass ihre Eltern ins Zimmer kommen … nur dass die Eltern in diesem Fall die Gemeindemitglieder waren.
«Jane hat keine Miene verzogen, als ich ihr gesagt habe, dass ich heute an der Reihe bin, dir beim Streichen zu helfen», sagte Merrily. «Und dann hat sie’s verdorben, indem sie irgendwas gemurmelt hat, das ich nicht ganz verstanden habe, über Pinsel und Farbdosen.»
Lol lächelte. Merrily sah sich in dem vom Feuer beleuchteten Wohnzimmer mit seinen tanzenden Schatten um. Es gab immer Schatten. Lol dachte an Lucy Devenish, die ihm die Gedichte von Thomas Traherne zu lesen gegeben hatte. Traherne war im siebzehnten Jahrhundert in Herefordshire Pfarrer gewesen und hatte geglaubt,
Gott wolle, dass der Mensch glücklich sei. Das ist der Mann, den du jetzt nötig hast. Statt rumzusitzen und diese Trauermusik zu hören. Wir haben Frühling. Lass Traherne in dein Leben
. Es war Lucys letzter Frühling gewesen, wie sich dann herausstellte. Plötzlich spürte Lol beinahe ihre Anwesenheit im Zimmer – Lucy, die ihrerseits Merrilys gedrückte Stimmung empfand und sich Lol jetzt zuwandte, mit wirbelndem Poncho und leuchtenden Augen.
Tu was
, befahl Lucy.
Lol starrte auf den Deckel der verchromten Teekanne.
«Ich sehe drei männliche Anwesenheiten über dir.»
«Oh – Lol, das Medium, hm?»
«Einer ist pensionierter Polizist und kann nicht mit ansehen, wie seine Welt auseinanderbricht. Einer ist Bischof kurz vor der Pensionierung, und er möchte nicht, dass ihm sein ersehnter Ruhestand verdorben wird. Und der dritte ist Psychiater im Ruhestand, der … aber ich glaube, so was gibt es überhaupt nicht. Psychiater hören nie auf zu analysieren.»
«Ob sie damit falschliegen oder nicht», sagte Merrily.
«Aber entscheidend ist: Leute im Ruhestand haben zu viel Zeit und nichts zu verlieren. Bei denen muss man vorsichtig sein. Eigentlich sagt die Teekanne, dass das nicht dein Problem ist.»
«Die Teekanne hat leicht reden.» Merrily stand auf und setzte sich ans Feuer. «Gestern Abend, als Bernie mich in der Kirche angerufen hat, wollte er noch einen Schlussstrich ziehen. Heute sagt er praktisch: ‹Klär das.›»
«‹Klär das für mich.›»
«Anscheinend hat er für Ludlow so eine Art spirituelles Verantwortungsgefühl.»
«Weil er da gearbeitet hat. Und dort seinen Ruhestand verbringen will. Vielleicht hat das gar nichts Spirituelles», sagte Lol.
«Da bin ich mir nicht so sicher.» Sie nahm Lol die Kanne ab und schenkte Tee ein. «Auf jeden Fall glaubt er, dass der Tod dieses Mädchens eine Menge gefährliche Spekulationen nach sich ziehen wird. Und damit hat er wahrscheinlich recht. Die Legende von Marion de la Bruyère ist in der Stadt sehr bekannt, und das ist
ihr
Turm. Zu denken, das Mädchen wusste das nicht, ist lebensfremd.»
«Für bestimmte verzweifelte Jugendliche hat das wahrscheinlich eine schreckliche Anziehungskraft, klar.»
«Noch mehr wahrscheinlich als der Unfall eines Vierzehnjährigen, zumal es ein anderer Turm war. Nur … Es muss irgendeine Verbindung geben, die wir noch nicht sehen.»
«Ist das Mädchen vorher schon mal in Ludlow gesehen worden?»
«Das werden wir erst wissen, wenn sie ihre Identität bestätigen und ein Foto freigeben.»
«Du sagst immer ‹wir›. Das ist nicht dein Problem.»
Aber Lol wusste, dass er nichts mehr ändern konnte.
«Ich habe im Internet nach Belladonna gesucht.» Merrily tat Zucker in ihre Tassen. «Nur, um mal
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