Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
verdammte, verantwortungslose Dilettantenschlampe.»
Er lachte, und es klang, als würde ein riesiger Kipplaster Kies abladen.
«Und dann … dann hat es in dem Haus offenbar doch nicht genug gespukt. Oder die Geister haben ihre Gesellschaft nicht ertragen und sind abgehauen.»
«Sie fühlt es nicht …» – Lol ergriff die Gelegenheit –, «… so wie manch andere Leute … es fühlen. Aber sie wollte es gern?»
Tom schwieg, und Lol erwartete fast, dass er auflegte. Doch dann sagte er: «Es wird erzählt, dass sie als Kind Meningitis hatte. Als Teenager. Sie wäre fast gestorben und hatte wohl so eine Nahtod-Erfahrung, die ihr Leben verändert hat. Sie wollte mir immer davon erzählen, ist mir immer hinterhergerannt. Hat mir eine Karte geschickt … weißt du, mit so einem Bild innendrin. Von ihr.
Die
Art Bild. Aber nicht mit mir. Geh mir aus der Sonne, du Verrückte!»
«Wann hast du denn das letzte Mal mit ihr gesprochen?»
«Keine Ahnung … vor ein paar Jahren? Sie wollte bei diesem Album mit mir zusammenarbeiten. Als wär ich so blöd! Scheint den Satz ‹Verpiss dich› nicht zu verstehen. Hat immer wieder angerufen … am Ende haben Shelley und ich die Nummer ändern lassen. Diese irre, kranke, dumme Frau. Und ihre Musik … grauenhaft.»
«Wo hat sie denn gelebt, als du das letzte Mal von ihr gehört hast?»
«Die zieht rum. Das hat sie immer schon gemacht. Ich glaube – Shelley wird das genauer wissen –, dass sie bei ihrer Tochter lebt. Nee, nee, nicht bei ihrer Tochter, sondern bei Saul Peppers Tochter. Der arme Kerl, den sie geheiratet hat. Der hatte schon eine Tochter.»
«Und wohnt die zufällig in Ludlow?»
«Wo?»
«In Shropshire.»
«Scheiße», sagte Tom. «Das ist gar nicht so weit von hier, oder? Pass auf, wenn du die verrückte Hexe triffst: Dann hast du in deinem ganzen Leben noch nicht mit mir geredet, Laurence.»
Lol legte noch ein Holzscheit aufs Feuer.
«Die Ehe mit Saul Pepper ist offenbar seit sechs Jahren geschieden», sagte Merrily. «Er ist zum Arbeiten nach Amerika gegangen. Hat jetzt eine neue Familie. Im Internet steht irgendwo, sie hätten sich im Guten getrennt. Pepper hat gesagt, sie war zu …» – Merrily seufzte – «… zu seltsam für ihn. Letzten Endes. Offensichtlich war sie ihr ganzes Leben lang zu seltsam für die Leute.»
«Aber nicht zu seltsam für die Tochter von Saul Pepper.»
«Oder für Robbie Walsh. Hm … was Tom Storey da über die Nahtod-Erfahrung gesagt hat – das ist interessant. Die Kirche hat zu diesen Dingen eine merkwürdige Haltung. Es ist die am weitesten verbreitete Jenseitserfahrung, aber … ui, da sind wir lieber vorsichtig.»
«Du auch?»
«Ich, nein. Ich würde mir eine Nahtod-Erfahrung sogar wünschen. Na ja, nicht
zu
nah, noch nicht jetzt, aber die meisten Menschen, die so eine Erfahrung gemacht haben – der lange Tunnel, das strahlende Licht –, scheinen jede Angst vor dem Sterben verloren zu haben.»
«Ich dachte, Geistliche hätten sowieso keine Angst vor dem St–»
«Du machst wohl Witze.»
Lol lächelte. «Aber Bellas Musik erklärt das auch nicht wirklich, oder? Und das Theater, das sie auf der Bühne veranstaltet hat. Da ging es ja nicht um die Freuden des Jenseits, sondern eher um den Tod selbst: Särge, Bahren, all das. Was für eine Art Nahtod-Erfahrung soll das denn symbolisieren?»
«Du hast recht, das ergibt alles keinen Sinn. Ich meine, das ist das Problem … nichts von alldem ergibt einen Sinn. Es passt irgendwie alles nicht zusammen. Überall fehlen ein paar Puzzlestücke.»
«Was ist mit dem toten Mädchen?»
«Das vor allem. Das ist … grauenvoll.» Merrily stand auf. «Ich werde vorschlagen, dass Mumford mit Frannie Bliss spricht, vielleicht kann Bliss herausfinden, was die Polizei bisher weiß. Bernie glaubt wohl, das Ganze solle eingeordnet – erklärt – werden, ehe die Einheimischen es mit ihrem Aberglauben in Verbindung bringen.» Merrily griff nach Lols Hand. «Alles in Ordnung?»
«Ich … ja.»
«Der Gig in Bristol …?»
«Ich nehm einfach jede Menge Drogen», sagte Lol.
Sie sah ihn prüfend an, um zu sehen, ob er lächelte. Er lächelte.
Ein paar Minuten später sah er ihr durchs Fenster nach, als sie am Rand des Marktplatzes entlang auf das Tor des Pfarrhauses zuging. Er fühlte sich leer, überflüssig. Sie arbeitete an sieben Tagen in der Woche, ließ sich dazu benutzen, anderer Leute Absichten voranzutreiben. In der vergangenen Woche hatte
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