Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
selbst.»
Jon Scole führte sie an der Kapelle vorbei, die jetzt eine Art Druckerei zu beherbergen schien – und das war gut, dachte Merrily, viel besser, als sie verfallen zu lassen. So kamen Menschen her, die Energie blieb im Fluss.
Merrily blinzelte. Meine Güte, sie dachte schon wie Jane.
Aber Ludlow hatte eine spezielle Energie, die nicht viele alte Städte hatten. Alles wurde noch genutzt, brummte und summte und schnatterte.
Sogar der Friedhof. Mitten hindurch führte ein Weg, den Jon Scole entlanglief, aber Merrily war stehen geblieben. Es gab Friedhöfe, auf denen man auf keinen Fall enden wollte. Jon Scole drehte sich um und kam zurück. Er strahlte.
«Ist erstaunlich, nicht? Als sie in St. Laurence keinen Platz mehr hatten, sind sie hierhin ausgewichen. Und dann war der hier voll. Hier sollen tausendvierhundert Gräber sein.»
Nur wenige der Gräber waren noch in Gänze zu sehen, denn irgendjemand hatte eine mutige Entscheidung getroffen, deren Ergebnis war, dass der Friedhof St. Leonard vor Lebendigkeit pulsierte. Es war ein dichtbewachsenes, verschlungenes, moosig grünes Delirium voller Vogelgezwitscher. Im Sommer gab es bestimmt sehr viele Schmetterlinge und nachts ungezählte Fledermäuse und Motten.
«Man hat ihn der Natur zurückgegeben», sagte sie. «Man hat … einfach alles sich selbst überlassen.»
«Was Sie hier sehen, Mary, gehört zu einer Art geheimem Durchgang, der die ältesten Teile der Stadt miteinander verbindet – und die zwei Flüsse. Den Corve auf dieser Seite, der ein schmaler, unauffälliger Fluss ist, und den großen auf der anderen Seite, die Teme.»
Zwischen den Bäumen konnte man, über die Büsche und Dächer hinweg, den Turm von St. Laurence sehen, als stünde er mit diesem Friedhof immer noch in enger Verbindung. Was irgendwie ja auch der Fall war. Merrily war vollkommen bezaubert.
Vielleicht war es eine Kombination aus ihren rosa Brillengläsern und der Tatsache, dass sie sich von der Diözese abgekoppelt hatte: Janes heidnische Kräfte griffen nach ihr. Vielleicht war es aber auch einfach bloß ein zugewucherter Friedhof.
«Wir gehen nicht in die Richtung, die sie immer nimmt», sagte Jon. «Wir gehen in die entgegengesetzte Richtung. Sie kommt vom Wehrhaus, geht die Stufen hoch und den Linney hinauf, also hinter der Teme hinauf zur Kirche, dann noch höher, dann wieder runter, und am Ende kommt man hier raus. Magisch.»
«Wie oft … geht sie denn hier lang?»
«Wann immer ihr danach ist. Nein, das stimmt nicht, wahrscheinlich gibt es ein Muster. Spätnachts oder kurz bevor es dämmert. Irgendwas hier scheint sie anzumachen.»
«Soll heißen?»
«Na ja … Sie wissen schon. Es gibt offensichtlich ziemlich viele Orte, die sie anmachen. Deshalb ist sie hergekommen. Wie gesagt, es ist eine ruhelose Stadt, und das fühlt man auch, oder?»
«Es ist schön hier.»
«Es ist
ruhelos
, Mary. Wohin man auch geht. Denken Sie nur an all die Geschichten … da gibt es eine alte Frau im Morgenmantel auf dem Friedhof, und es sind Schritte zu hören. Dann ist da Katharina von Aragon – angeblich – in dem Häuschen beim Schloss. Es gibt Läden, in denen es spukt, einen Friseur mit Poltergeist. Und … sehen Sie mal da …»
Zu ihrer Linken hatte sich eine Aussicht aufgetan, die wirkte, als wäre sie so geplant worden. Es fehlte eigentlich nur das Teleskop, in das man eine Münze werfen konnte.
So hatte sie das Schloss noch nie gesehen. Es lag auf der anderen Seite der Stadt, aber von hier aus schien es sich in saftiges Grün zu schmiegen, ohne dass moderne Gebäude – oder überhaupt irgendwelche Gebäude – den Anblick störten. Als wäre man in die Vergangenheit zurückversetzt, in der es nichts als das Schloss gab.
«Jon, es ist, als stünde dieser Ort – dieser Friedhof – mit allem in Verbindung. Man geht um die Ecke und …»
«Es ist magisch», sagte Jon Scole. «Alles in dieser Stadt ist miteinander verbunden. Wie ein Kreislauf. Wie elektrische Drähte. Und wenn man weiß, wie, kann man sich selbst anschließen.»
«Hat Bell das gesagt?»
«Nur einmal. Dann hat sie den Mund gehalten, als hätte sie schon zu viel verraten. Es ist, als würden die Zeiten miteinander verbunden. Wenn sie hier langgeht, ist es als …»
«Als ginge sie nicht allein? Oder als würde sie sich wenigstens so fühlen –»
«Fühlen, ja. Sehen nicht, aber – ich sag Ihnen, wenn ich diese Frau dazu bringen könnte, regelmäßig an den Geistertouren
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