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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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Augen und
wollte ihn dazu bringen, eher zu blinzeln als ich. »Jedes
Wort, das Titus Megarus mir erzählt hat? Aber warum hast du
uns das nicht gleich gesagt?«
    Wir saßen in
demselben engen, erbärmlichen Zimmer, in dem wir uns schon
einmal getroffen hatten. Diesmal hatte sich Caecilia Metella,
nachdem sie eine Kurzfassung der Geschichte gehört hatte, uns
angeschlossen. Die Vorstellung, ihr geliebter Sextus Roscius sei
als Feind Sullas geächtet worden, sei absurd, erklärte
sie, geradezu obszön. Sie war begierig zu hören, was sein
Sohn dazu zu sagen hatte. Rufus saß direkt neben ihr, und
eine ihrer Sklavinnen stand schweigend in der Ecke und wedelte ihr
mit Pfauenfedern an einem langen Stiel frische Luft zu, als sei sie
die Gemahlin eines Pharaos. Tiro stand mit Täfelchen und
Stilus zappelnd rechts neben mir.
    Sextus starrte
zurück, nicht bereit zu blinzeln. Dieses Blickduell kostete
bald soviel Kraft wie die Hitze. Die meisten Männer, die Zeit
zum Erfinden einer Ausrede oder Lüge gewinnen wollen, wenden
den Blick ab, betrachten irgend etwas, egal was, solange es nicht
zurückstarrt. Sextus Roscius hingegen stierte mich
ausdruckslos an, bis ich schließlich blinzelte. Ich meinte,
ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen zu haben, aber das kann
auch Einbildung gewesen sein. Ich begann zu glauben, daß er
vielleicht wirklich verrückt war.
    »Ja«,
sagte er schließlich. »Es stimmt. Jedes einzelne
Wort.«
    Caecilia stieß
ein eigenartig verzweifeltes Kichern aus. Rufus strich ihr sanft
über die faltige Hand.
    »Warum hast du
Cicero dann nichts davon erzählt? Hast du irgend etwas
gegenüber Hortensius erwähnt, als er noch dein Anwalt
war?«
    »Nein.«
    »Aber wie sollen
dich diese Männer verteidigen, wenn du ihnen nicht
erzählst, was du weißt?«
    »Ich habe keinen
von beiden gebeten, meinen Fall zu übernehmen. Das hat sie
getan.« Er zeigte unhöflich auf Caecilia
Metella.
    »Willst du damit
sagen, daß du gar keinen Anwalt willst?« fuhr Rufus ihn
an. »Was glaubst du, wie deine Chancen stünden, wenn du
allein gegen einen Ankläger wie Gaius Erucius vor der Rostra
erscheinst?«
    »Wie stehen
meine Chancen denn jetzt? Selbst wenn es mir irgendwie gelingen
sollte, ihnen vor Gericht zu entkommen, dann spüren sie mich
eben hinterher auf und machen mit mir, was sie wollen, genau wie
mit meinem Vater.«
    »Nicht
unbedingt«, wandte Rufus ein. »Nicht, wenn Cicero die
Lügen von Capito und Magnus vor Gericht bloßstellen
kann.«
    »Aber um das zu
tun, müßte er Chrysogonus’ Namen ins Spiel
bringen, oder nicht? O ja, man kann keine Flöhe fangen, ohne
mit dem Hund zu kämpfen, und das geht nicht, ohne an der Leine
seines Herrn zu ziehen. Der Hund könnte beißen, und
seinem Herrn wird es gar nicht gefallen, sich von einem kleinen
Bauernanwalt bloßstellen zu lassen. Selbst wenn er den Fall
gewinnt, wird euer hochgeschätzter Meister Kichererbse mit
seinem Kopf auf einem Stock enden. Erzähl mir nicht, daß
es einen Advokaten in Rom gibt, der das Risiko eingehen will, Sulla
offen ins Gesicht zu spucken. Und wenn es ihn doch gibt, ist er
viel zu dumm, um mich erfolgreich zu vertreten.«
    Rufus und Tiro waren
gleichermaßen empört. Wie konnte Roscius so über
Cicero reden, ihren Cicero? Roscius’ Ängste galten ihnen
nichts; ihr Glauben an Cicero war unerschütterlich.
    Ich hingegen
fürchtete, daß Roscius recht hatte. Der Fall war genauso
gefährlich, wie er sagte. Mich hatte man bereits bedroht (eine
Tatsache, die ich unter Caecilias Dach mit Absicht verschwieg).
Wenn Cicero noch nicht dasselbe Schicksal ereilt hatte, dann nur,
weil er zu jenem Zeitpunkt mit der Ermittlung an sich nichts zu tun
hatte und ein Mann mit weit größerem Einfluß war
als ich.      
    Trotzdem kamen
Roscius’ Worte mir irgendwie unaufrichtig vor. Ja, sein Fall
war gefährlich, und weiteres Vorgehen beschwor
möglicherweise den Zorn der Mächtigen herauf. Aber konnte
das für ihn von irgendeiner Bedeutung sein, wo seine einzige
Alternative ein grausamer Tod war? Wenn er sich gewehrt und uns die
Wahrheit an die Hand gegeben hätte, die seine Unschuld und die
Schuld seiner Ankläger beweisen konnte, konnte er nur
gewinnen: sein Leben, seinen Frieden, vielleicht sogar die
Annullierung der Proskription seines Vaters und die Rückgabe
seiner Güter. Konnte er in so tiefe Hoffnungslosigkeit
versunken sein, daß er völlig gelähmt war? Kann man
einen Menschen so weit demoralisieren, daß er sich nach einer
Niederlage und dem

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