Das Lächeln des Killers
tatsächlich vergaß.
Wenn man in einem Krankenhaus erwachte, an unzähligen Apparaten hing, Schmerzen litt und nur fremde Gesichter um sich sah – was blieb dem Hirn dann anders übrig, als sich zu verstecken?
Wie heißt du?
Das war die erste Frage, die ihr vor Jahren gestellt worden war. Von Ärzten und von Polizisten, die um ihr Bett gestanden hatten. Und sie hatte sie mit großen Augen angestarrt.
Wie heißt du, kleines Mädchen?
Ihr Herz fing an zu rasen, und am liebsten hätte sie sich Schutz suchend zusammengerollt. Kleines Mädchen. Grauenhafte Dinge wurden mit kleinen Mädchen angestellt.
Erst hatten sie gedacht, sie wäre stumm. Doch sie konnte sprechen. Sie hatte nur die Antworten auf all die Fragen nicht gewusst.
Der Polizist hatte sogar recht freundlich ausgesehen. Er war nach den Ärzten und den anderen Leuten in den wehenden weißen oder lindgrünen Kitteln bei ihr aufgetaucht.
Später hatte sie erfahren, dass sie von der Polizei aus der dunklen Gasse, in der sie sich versteckt hatte, ins Krankenhaus gefahren worden war. Zwar konnte sie sich nicht daran erinnern, aber man hatte es ihr irgendwann erzählt.
Ihre erste Erinnerung war die an helles Licht, das ihr in den Augen wehtat, und an das dumpfe Druckgefühl, als ihr gebrochener Arm gerichtet worden war.
Sie starrte regelrecht vor Schweiß, Dreck und getrocknetem Blut.
Diese Fremden sprachen, während sie sie betasteten, mit sanften Stimmen auf sie ein. Doch wie auch bei dem Polizisten hatte ihr Lächeln ihre Augen nicht erreicht. Sie hatten sie entweder grimmig, herablassend, mitleidig oder aber fragend betrachtet.
Als sie nach unten kamen, dorthin, wo sie aufgerissen worden war, setzte sie sich mit aller Kraft zur Wehr. Sie kratzte und sie biss, und sie stieß ein lautes jämmerliches Heulen aus wie ein verletztes Tier.
Das war der Augenblick gewesen, in dem eine der Schwestern in Tränen ausgebrochen war. Sie hatte angefangen stumm zu weinen, während sie sie mit den anderen zusammen festgehalten hatte, bis ihr jemand ein Beruhigungsmittel gespritzt hatte.
Wie heißt du?, hatte sie der Polizist, als sie erneut zu sich gekommen war, abermals gefragt. Wo lebst du? Wer hat dir so weh getan?
Sie wusste es nicht, und sie wollte es nicht wissen. Sie kniff die Augen zu und versuchte in Gedanken zu fliehen.
Manchmal schlief sie ein. Doch wenn der Schlaf zu tief war, fing sie furchtbar an zu frieren und sah ein schmutzig rotes Licht. Davor hatte sie Angst, noch größere Angst als vor all den Fremden mit ihren leisen Fragen.
Manchmal, wenn sie in dem kalten Zimmer war, war noch jemand anderes im Raum. Er hatte einen eklig süßen Atem, und seine Finger krochen über ihre Haut wie die widerlichen Kakerlaken, die sie, wenn das rote Licht durchs Fenster fiel, über den Boden krabbeln sah.
Wenn diese Finger sie berührten, konnten nicht einmal die Medikamente ihre Schreie stoppen.
Sie dachten, dass sie sie nicht hörte, dass sie sie nicht verstand, wenn sie leise murmelnd miteinander sprachen.
Geschlagen. Vergewaltigt. Sie wurde über lange Zeit hinweg körperlich misshandelt und sexuell missbraucht. Sie leidet unter Unterernährung, Dehydrierung und einem schweren körperlichen und emotionalen Trauma.
Sie hat Glück, dass sie überhaupt noch lebt.
Das Schwein, das das getan hat, sollte man in kleine Stücke schneiden.
Noch ein Opfer. Die Welt ist voll von Opfern.
Wir haben keine Ahnung, wer sie ist. Also nennen wir sie Eve. Eve Dallas.
Als der Wagen hielt, fuhr sie erschrocken aus dem Schlaf und starrte auf das Steinhaus, hinter dessen Fenstern man helle, warme Lichter brennen sah.
Ihre Hände zitterten.
Müdigkeit, sagte sie sich. Das lag nur an der Müdigkeit. Und wenn sie sich in Moniqua hineinversetzen konnte, war das sicher nur natürlich. Es gehörte, dachte sie, während sie sich aus dem Wagen quälte, zu ihren Ermittlungen dazu.
Sie wusste inzwischen, wer sie war. Eve Dallas war für sie nicht mehr nur ein Name, der ihr von irgendwelchen Fremden verpasst worden war. Wer sie zuvor gewesen, was ihr vorher alles widerfahren war, ließ sich nicht mehr ändern.
Und wenn das gebrochene, verängstigte Kind von damals nach wie vor in ihrem Innern lebte, war das für sie okay.
Sie hatten beide überlebt.
Sie schleppte sich ins Schlafzimmer hinauf, zog die Jacke aus, legte das Waffenhalfter ab und stolperte, noch während sie an ihren Kleidern zerrte, bereits zum Bett. Dort ließ sie sich auf die Matratze fallen, rollte sich
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