Das Lächeln des Leguans
niemand seine Geschichte ab. Mama griff zitternd vor Wut nach dem
Telefon, um das Jugendamt anzurufen, aber Luc flehte sie an, nichts zu unternehmen, und gestand ihr seine krankhafte Befürchtung,
womöglich in einer Pflegefamilie untergebracht zu werden. Mama gab nach, verlangte aber, zum Schweinehund gebracht zu werden,
um ihm wenigstens ordentlich die Meinung sagen zu können. Großvater erhob Einspruch: Er beschloss, sich den Fischer persönlich
vorzuknöpfen, setzte seine Kappe auf und ging männlichen Schrittes von dannen. Lucs Hosenbeine schlackerten, aber das gab
sich eine Stunde später wieder, als Großvater zwar bleich, doch immer noch am Leben, wenn auch ohne seine Kappe zurückkehrte.
Er weigerte sich, seinen Besuch beim Schweinehund zu kommentieren, und schloss sich mit Großmutter in Mamas Zimmer ein, wo
sie eine dieser grässlichen Besprechungen abhielten, die den Erwachsenen vorbehalten sind. Zehn Minuten später baten sie uns
herein. Sie würden Lucs Wunsch respektieren und das Jugendamt nicht benachrichtigen, dafür musste mein Freund allerdings versprechen,
seinen Vater nie wieder aufzusuchen. Von nun an würde er bei uns wohnen. Luc war hin und weg. Er bedankte sich unter Tränen
und schwor, unser Vertrauen nicht zu enttäuschen. Jetzt habe ich also einen Adoptivbruder. Zusammenwerden wir eine moderne Familie sein, die zwar nach einem seltsamen Muster gestrickt ist, sich aber nicht kleinkriegen lässt.
Falls der Schweinehund es wagen sollte, hier aufzukreuzen und seinen Sohn zurückzufordern, wird er sein blaues Wunder erleben!
21
Großmutter hat sich Luc vorgeknöpft und ihn einem rigorosen Körperhygieneprogramm unterzogen. Es geht darum, einen konditionierten
Reflex einzustudieren, der sich mit dem Nahen der Essenszeit verstärkt und abends in drastischen Waschungen kulminiert. Luc
hält sich wacker. Er fängt sogar an, einen angenehmen Duft zu verströmen. Pawlow wäre stolz auf ihn. Großmutter belohnt ihn,
indem sie ihn mit kleinen, praktischen Geschenken wie Zahnbürsten, Nagelscheren und Pyjamas bombardiert, und Luc rechtfertigt
ihre Verschwendungssucht, indem er ihr mit größtem Respekt begegnet. Er nimmt den zivilisierten Anstrich, den Großmutter ihm
verleiht,ohne Widerrede an und bemüht sich, ihre großen Erwartungen zu erfüllen. Er ist bereit, sie in allen Punkten zufriedenzustellen,
bis auf einen: Man möge nur ja nicht darauf hoffen, dass er auf seine alte Kappe und seine hinterwäldlerischen Stiefel verzichtet.
Diese Dinge seien, auch wenn sie noch so abgetragen wirkten, seine persönlichen Markenzeichen, und damit müsse Großmutter
sich abfinden. Sie hat inzwischen eingelenkt und bemüht sich, darüber hinwegzusehen. Nachdem sie den Versuch aufgegeben hat,
Lucs Extremitäten zu vervollkommnen, konzentriert sie sich lieber auf seine Mitte und lobt ihn nur noch in den höchsten Tönen.
Sie idealisiert ihn geradezu: Wenn sie an Lucs Oberfläche kratzt, staunt sie über das, was da zutage tritt, und wird ihm am
Ende noch lauter imaginäre Qualitäten andichten. In ihren Augen wird er immer mehr zu einem Ausbund an Tugenden. Arme Großmutter.
Luc und zivilisiert? Sie sollte ihn mal sehen, wie er in der Bucht jedes Mal, wenn der Schweinehund aufs Meer hinausfährt,
in Unterhose Voodootänze vollführt, wie ein Besessener brüllt und die rachsüchtigen Elemente beschwört!
*
Das Rätsel um Lucs Familie bleibt ungelöst, allerdings geht Großmutter es mit dem Eifer eines erstklassigen Detektivs an.
So hat sie endlich eine Beschäftigung, etwas Wichtiges zu tun, ja sogar einen neuen Lebensinhalt. Sie hat uns ins Pfarrhaus
geschickt, um nach Lucs Taufurkundezu fragen. Pater Loiselle, der zwischen zwei Bissen Kuchen sein Register durchsah, zückte eine Kopie des Dokuments, das Luc
voller Neugier inspizierte, da er zum ersten Mal einen derart unwiderlegbaren Beweis seiner eigenen Existenz in Händen hielt.
Auf dem Papier sind nicht nur die Geburtsorte seiner Eltern, sondern auch die betreffenden Daten vermerkt. Chantal Bouchard
wurde in Rimouski geboren. Im vergangenen Monat ist sie achtundzwanzig geworden. Wäre sie geworden.
Rimouski − jetzt haben wir eine Stadt, eine Fährte. Falls Luc irgendwelche Verwandten hat, kann man sie womöglich dort finden.
Mit Mama sind wir beim Durchblättern des Telefonbuchs von Bas-Saint-Laurent auf insgesamt zweihundertsechs Bouchards in jeder
erdenklichen Schreibweise
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