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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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gebeten, ihr von seiner Kindheit zu erzählen, über die er selten sprach. Georges willigte ein, fing Feuer und setzte seinen Bericht weit über das ursprünglich Erbetene hinaus fort. Als Georges damit fertig war, beschloss er, für den Rest der Familie eine Kopie anzufertigen. Heute bewahrt Violette Original und Kopie auf.
     
    Ich werde später auf die Umstände zu sprechen kommen, unter denen ich die Kassetten an mich nahm, nach einer für mich entsetzlichen Szene, die mich noch mehrere Wochen verfolgen sollte. Diese Szene liefert übrigens eine hinreichende Erklärung dafür, dass ich sie bis dahin nicht hatte anhören können, obwohl sie sich schon seit einiger Zeit in meinem Besitz befanden und ich mir, um sie abzuspielen, ein Gerät beschafft hatte, das man bald schon als prähistorisch betrachten wird.
    Tastend und mit dem Ziel, sowohl die Epoche als auch das soziale Milieu widerzuspiegeln, in dem meine Mutter aufgewachsen war, schrieb ich über die »Rue de Maubeuge«, während die Kassetten irgendwo unter einem Regal herumlagen, noch in der alten Plastiktüte, in der ich sie hergebracht hatte.
    Als ich mich daranmachte, über den Umzug meiner Großeltern von Paris nach Versailles zu schreiben, schien mir, ich hätte etwas außer Acht gelassen. Ich konnte nicht weitermachen, ohne die Bänder gehört zu haben, und weiterhin so schreiben, als gäbe es diese Kassetten nicht. Sie waren bei mir, Georges selbst hatte sie kopiert, und obwohl mir der Gedanke, die Stimme meines vor mehr als zehn Jahren verstorbenen Großvaters zu hören, nicht angenehm war, war ich mir doch wenigstens den Versuch, ihr zu lauschen, schuldig.
    Als ich die Kassetten aus der Tüte holte und sie ordnen wollte, bemerkte ich, dass drei ( 18 , 19 und 20 ) fehlten. Ich dachte daran, Violette deshalb anzurufen, doch dann überlegte ich es mir anders. Lucile hatte sich kurz vor ihrem Tod, als sie, wie ich glaube, schon beschlossen hatte, ihrem Leben ein Ende zu setzen, sämtliche Kassetten ausgeliehen, um sie zu hören. Wenn ich Violette erzählte, dass drei fehlten, würde sie wahrscheinlich glauben, Lucile habe sie zerstört oder an sich gebracht. Und tatsächlich hat Lucile bei verschiedenen Gelegenheiten ein ziemlich radikale Einstellung an den Tag gelegt, wenn es um Gegenstände ging, die mit der Familie eine konkrete oder symbolische Verbindung hatten. Aber es war durchaus auch möglich, dass ich beim Stöbern in Violettes Keller einen Teil der Kassetten versehentlich zurückgelassen hatte oder dass die fehlenden Kassetten in einen anderen Karton geräumt worden waren.
     
    Am Samstagvormittag schob ich Kassette 17 in den Rekorder, um festzustellen, wo genau die Erzählung abbricht. Das Band endet im Juni 1942 , Georges hat gerade seine Arbeit bei
Toute la France
(einer Zeitung für die Familien Gefangener, deren Zeitungsdirektor nun selbst verhaftet worden war) verloren und sucht nach einer neuen Stelle.
    Kassette 21 beginnt einige Wochen später, als sich Georges und Liane auf einer Party kennenlernen. Georges ist fünfundzwanzig, hat die Methoden eines Don Juan, die er ständig verfeinert, seit er in Paris ist, und beherrscht verschiedene Strategien zur Annäherung an das weibliche Geschlecht, deren Wirksamkeit sich auch an diesem Abend bestätigt. Georges tanzt gern, möglichst eng und mit mehr oder minder abenteuerlustigen Händen, und er bringt die Frauen gern zum Lachen. Liane, die er zum ersten Mal sieht und die er seine
kleine blaue Fee
nennt (eine Anspielung auf Charles Trenet, den er sehr bewundert), ist bereit, mit ihm zu tanzen, obwohl sie ihn dem Augenschein und auch dem ihm vorauseilenden Ruf nach für einen ausgemachten Flegel hält. Übrigens redet sie auch gleich Klartext mit ihm: Ihr Kleid sei grün und nicht blau, und es komme überhaupt nicht in Frage, dass er irgendeinen Flirt mit ihr anfange. Georges lässt es sich gesagt sein. Sie tanzen ein wenig, und dann flattert Georges wieder von Frau zu Frau, um dann mit sechs oder sieben Telefonnummern nach Hause zu gehen, ein Rekord, wie er anmerkt. In den Wochen darauf kommt ihm immer wieder das Bild der jungen Provinzlerin in den Sinn, auf dem Band beschreibt er ihr Lächeln, ihre Frische und ihre blonden Locken. Einige Monate später sehen sie sich wieder, auf einer Abendeinladung bei einer von Lianes Schwestern, Barbara, die bereits verheiratet ist und in Paris lebt. Von der Ausgangssperre überrascht, führt Georges die ganze übrige Nacht lang ein Gespräch mit der

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