Das Lächeln meiner Mutter
bringt es mit Lucile in Zusammenhang), denn mir wird letzten Endes immer, wenn ich
im Fond einer Limousine
sitze, schlecht. An dem bewussten Vormittag jedoch raffte ich mich dazu auf, dem Fahrer zu antworten, zunächst eher ausweichend, doch da er nicht lockerließ, sagte ich ihm schließlich, dass ich schreibe.
»Woran liegt das?«, fragte er mich genauso, wie man nach dem Grund für eine Krankheit oder sogar für eine Strafe oder einen Fluch fragt.
Im Rückspiegel warf er mir einen mitfühlenden Blick zu.
Woran liegt das?
Wenn ich in Bibliotheken, Buchhandlungen oder Schulen mit Lesern zusammenkomme, werde ich oft gefragt, warum ich schreibe.
Ich schreibe wegen des 31 . Januars 1980 .
Der Ursprung des Schreibens liegt genau dort, das weiß ich dunkel, in diesen wenigen Stunden, die unser Leben kippen ließen, in den Tagen davor und in der Zeit der Isolation danach.
Ich weiß noch, dass ich hörte, meine Mutter habe dieselbe Krankheit wie Lianes Schwester Barbara, die mehrere Jahre lang in einem verzweifelten, immer von neuem beginnenden Zyklus zwischen Phasen manischen Überschwangs und solchen tiefer Apathie hin- und hergeschwankt war. Die Krankheit war von der einen auf die andere übergegangen, basta. Als wäre es nur das gewesen, ein erblicher Wahnsinn, der über komplexe Umwege von Generation zu Generation weitergegeben wird, ein Schicksal, das die Frauen der Familie traf und gegen das nichts auszurichten war.
Liane saß seufzend in der Küche, mit diesen traurigen Augen und die Hände um einen wärmenden Tee gelegt. Es war da, es lag uns im Blut, man musste damit zurechtkommen, Geduld haben, denn nach einigen Jahren hatte sich Barbara stabilisiert, das Hin und Her zwischen Klinik und Zuhause hörte auf, sie war davongekommen. Und Liane sagte abschließend:
»Machen Sie die Tür zu, kleine Königin. Man erfriert ja.«
Nur wenige Wochen liegen zwischen der
Apostrophes
-Sendung und Luciles erstem Anfall. Diese zeitliche Nähe hatte ich mir nie bewusst gemacht, in meiner Erinnerung waren die beiden Ereignisse getrennter. Das hat nichts zu bedeuten. Dank dem Archiv des nationalen Instituts für Rundfunk- und Fernsehproduktionen ( INA ) konnte ich mir die Sendung noch einmal anschauen. Sie war mir entfallen. Meine Erinnerung war im Fernsehzimmer in Pierremont, das durchtränkt war von der feierlichen Spannung dieses Moments. Ich glaube, Lucile war dabei, bei uns, ich bin aber nicht sicher.
Bewegt sah ich den Beitrag von Barbara und Claude, die ich selten gesehen habe und nur kenne, wie man die Leute kennt, denen man bei Begräbnissen und Familienfesten begegnet (sie sind für mich also praktisch zwei völlig Fremde geblieben). Sie leben beide nicht mehr. Auf der
Apostrophes
-Tribüne sitzen sie nebeneinander, wie miteinander verbunden, seine Aufmerksamkeit ist ganz auf sie gerichtet und umgekehrt, alles Übrige scheint für sie erst an zweiter Stelle zu kommen. Beide sprechen von diesen Jahren, dieser Talsohle, die hinter ihnen liegt, von den wiederholten Klinikaufenthalten, von seinem Schmerz, wenn er die Papiere für die Anstaltsunterbringung unterschreiben musste, von den Briefen, die sie aus der Klinik schrieb und in denen sie die Scheidung verlangte. Sie ist schön, unglaublich präsent und charismatischer als er. Mehrmals nimmt er ihre Hand, sie lächelt, wenn er von seinen etwas frivolen Reportagen spricht. »Wer es niemals war, werfe den ersten Stein«, fügt er voller Überzeugung hinzu. Sie lacht, sehr würdig.
Ich hatte ihr Buch nicht gelesen. Ich habe es über das Internet bestellt, wo man es noch antiquarisch findet. Es gab immer sehr enge Beziehungen zwischen Barbaras Familie und der meiner Großmutter. Ich erinnere daran, dass sich Liane und Georges dank Barbara kennengelernt haben. Und dann hat Barbara dank Georges ihren zweiten Mann Claude kennengelernt. Die beiden Schwestern waren im Alter nur drei Jahre auseinander, und beide zogen, wie ihre eigene Mutter, eine große Kinderschar auf. Obwohl sie sehr unterschiedlich waren, scheint mir, dass sie beide (außer während Barbaras Krankheitsphasen) diese aus den Elementen bezogene erdverbundene Kraft, diese unerschöpfliche Energie, diese Begabung für das Leben hatten. Beide glaubten an die Liebe und bekannten sich zu einer grenzenlosen Hingabe und Ergebung an den Ehemann, wie es ihrer Ansicht nach die Pflicht jeder Ehefrau war. Beide heirateten Männer mit starker Persönlichkeit, die immer im Zentrum der
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