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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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Tanten, Brüder, Schwestern, Vettern und Kusinen, Neffen und Nichten in Gallargues vorbei, und natürlich auch immer irgendein(e) geschwächte(r), erholungsbedürftige(r) Freund(in) mit Geldsorgen, der/die schon seit einem, zwei, drei Jahren keine Ferien mehr gemacht hatte und schließlich für länger blieb. Der Gesamtpersonenbestand konnte sich auf bis zu fünfunddreißig belaufen, wenn man die mitzählte, die in den Zelten schliefen.
    Die genaue Organisation war allen bekannt: Jeden Tag übernahm ein anderes – möglichst gegengeschlechtliches, aber nicht unbedingt durch eheliche oder allgemein bekannte sexuelle Bande verknüpftes – Paar von Erwachsenen, unterstützt von zwei Kindern und/oder Jugendlichen die Haushaltspflichten des Tages: Einkäufe, Reinigungsarbeiten, Zubereitung des Abendessens und Hinterlassung ordentlicher und sauberer Räumlichkeiten für den nächsten Tag. Die Einteilung der sogenannten
diensthabenden
Paare wurde zu Beginn des Aufenthalts festgelegt. Abgesehen von diesem/diesen anstrengenden Tag(en) war süßes Nichtstun garantiert.
     
    In den Sommern nach Luciles erstem Klinikaufenthalt fuhren wir für zwei oder drei Wochen zu Liane und Georges in das große Haus in Gallargues. Lucile hatte nicht genug Geld, um anderswohin zu reisen, und wahrscheinlich war es ihr auch nicht möglich, so lange mit uns allein Ferien zu machen. Sie wusste, wie sehr wir diese kurze Zeit großer Gemeinschaft liebten, das Wiedersehen mit unseren Verwandten, diese unglaublichen Tischrunden, bei denen man Mühe hatte, die Anwesenden, deren Zahl ohnehin ständig schwankte, zu zählen.
     
    Jeden Morgen versammelte sich die Familie, mit Kühltaschen und Handtüchern bewaffnet, zunächst am Ufer des Ponant (eines Sees, der mit dem Mittelmeer verbunden ist und zur Gemeinde La Grande-Motte gehört), um dann einige Stunden später zur Hälfte zum echten Strand, zur Plage du Grand Travers weiterzuziehen. Die Frauen trugen Bikinis, verteilten nach Monoi duftendes Öl auf ihrer gebräunten Haut, rauchten und unterhielten sich, während die Kinder am Wasser spielten oder sich darum zankten, wer mit ins Boot durfte. Georges besaß inzwischen ein mittelgroßes Boot mit einem 60 - PS -Außenbordmotor.
    Gegen elf stieg eine strahlende Liane aus ihrem R 4 , nahm ihre verrückte orange Plastik-Sonnenbrille ab, zog eine Schwimmweste an und führte den verblüfften Sommergästen dann einen gekonnten Monoski-Slalom vor. Dabei trug sie jeden Tag einen andersfarbigen einteiligen Badeanzug, der jedes Jahr aus dem
Trois-Suisses
-Katalog ausgewählt wurde und ihre üppige Brust und die schmale Taille zur Wirkung brachte. Liane besaß eine ganze Kollektion solcher Badeanzüge.
    Tom war es nach Monaten intensiven Trainings und psychischer Konditionierung unter den hysterischen Ermutigungsschreien der Familie gelungen, sich aus dem Wasser zu erheben. Im Laufe der Zeit hatte er gelernt, die Fluten zu durchschneiden und auf einem einzigen Ski zu fahren, jetzt trainierte Georges ihn für die französischen Behinderten-Meisterschaften.
     
    Sonnenverbrannt und mit einem Tuch auf dem Kopf, das ihm den Spitznamen »der Pirat« eingetragen hatte, verbrachte Georges den größten Teil des Tages am Steuer seines Außenborders, rief nach den einen, neckte die anderen und verlangte, dass die Frauen in seiner Umgebung oben ohne gingen. Im Laufe der Sommer war Georges zum Star des Sees geworden. Obwohl er kein entsprechendes Diplom hatte, beschloss er, von dieser Berühmtheit beflügelt, Wasserskiunterricht zu erteilen. Diese Tätigkeit machte ihn noch bekannter und ermöglichte es ihm nicht nur, neue Leute kennenzulernen, sondern auch das Benzin für die Wasserskiübungen der Familie zu finanzieren. Georges war witzig, geduldig und ein guter Pädagoge, die Warteliste wurde immer länger. Der See war seine Domäne, hier wie überall kam man um Georges nicht herum.
     
    Für seine Enkel ließ er sich alle möglichen Streiche einfallen, der denkwürdigste war sicher der mit der Lachkassette. Georges rekrutierte unter den aktuellen Sommerfrischlern im Garten von Gallargues ein Dutzend Freiwilliger. Rings um das Mikro kicherten, glucksten und prusteten wir in einem wohldurchdachten Crescendo, bis sich die anwachsende Heiterkeit entlud und wir uns in einem echten kollektiven Lachanfall krümmten. Nachdem die Kassette fertig war, konnte das Spiel beginnen. Am Ortsrand von La Grande-Motte hielt Georges’ R 21 mit weit offenen Fenstern an einer Ampel. Wir

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